15.12.2022: Typostammtisch #100 Quiz

TStT-100_Titelbild

Oh betet – der Berliner Typostammtisch wird 100! In der dunkelsten Zeit des Jahres halten wir mit euch eine typografische Andacht, blicken auf eine glyphenreiche Vergangenheit zurück und tun Buße für typografische Verfehlungen. Aber vor allem: Quizzen!

Oh ratet – lasst uns Licht ins Dunkel bringen und unser Schriftwissen leuchten. Ihr seid herzlich eingeladen zum traditionellen Typostammtisch-Quiz, egal ob neu dabei, Vollprofi oder Stammgast. Es gibt viel zu gewinnen: Spiel, Spaß, Spannung, aber auch Bücher, Plakate und unseren Quiz-Wanderpokal. Wir losen Rate-Teams aus, das heißt: Niemand schaut zu und niemand rät allein, sondern wir alle zusammen in Gruppen.

Oh kommet – aber bitte mit Thermo-Unterwäsche, Handwärmern und Wärmflaschen, denn wir sind in der wunderschönen Zwingli-Kirche und es wird kirchenkalt. Für die Location und Glühwein in der beheizten Seitenschiffbar sorgt der KulturRaum Zwingli-Kirche e.V.; herzlichen Dank im Vorfeld!

Falls ihr ein Typo-Buch, Plakat, eine Schriftlizenz oder ähnliches für den Kredenztisch beisteuern möchtet, meldet euch bei der Sammelstelle* oder bringt die Sachen mit in die Kirche.

Bis dahin,
Euer Typostammtisch-Team

Wann? Donnerstag, 15. Dezember 2022, Beginn 19:00 Uhr, Einlass 18:30; Eintritt frei
Wo? Zwingli-Kirche, Rudolfstraße 14, 10245 Berlin-Friedrichshain

*Gabentischsammelstelle ist bei LucasFonts, Eisenacher Straße 56, 10823 Berlin. Übrigens: Vorschläge für unser Programm und Locations sind immer willkommen! Werft auch einen Blick in unseren Nachbericht zum 99. Typostammtisch mit vielen tollen Menschen und Büchern – einige davon beim Quiz zu gewinnen. Die Bücher, nicht die Menschen. Aber die kommen hoffentlich auch.


Besucht am 6. Dezember die Veranstaltungsreihe Indie Stabi – unabhängige Verlage stellen sich vor. Dort trifft der Verbrecher Verlag auf Voland & Quist. Am 8. Dezember finden gleich drei Veranstaltungen statt: ein Vortrag über Slawische Kinderbücher im Kontext der Avantgarde in der StaBi, Type Thursday bei LucasFonts (für diese beiden Veranstaltungen ist Anmeldung erforderlich) und im A–Z die Counter Session #3, wo es um Schriftsprache, gesprochene Sprache und Schriftsysteme geht. Vom 7. Dezember bis 26. Februar ist in der StaBi die Ausstellung MANUSCRIPTA AMERICANA – Den Azteken auf der Spur zu sehen. Und für die Early Birds: Am 17. März 2023 findet die FURE Konferenz statt; dort geht es um die Zukunft des Lesens.


Die Titelzeile zeigt die Schrift Jesus Loves You von Luc(as) de Groot, im Bild Jesus Loves Your Brother.

Nachbericht 99. Typostammtisch: Buchvorstellungen

Ein sportliches Vortragsformat erfordert einen sportlichen Nachbericht: Foto Mensch(en) und Werk(e), kurzer Text, nächste(r) bitte! Alphabetische Reihenfolge. Bereit?

Till Wiedeck, François Elain: Auf Wasser gebaut

Till Wiedeck bringt die alphabetische Reihenfolge gleich zu Beginn ins Wanken, ist er doch auf Abruf, früher wegzumüssen. Der Wecker ist gestellt – 5 Minuten ab jetzt! Till zeigt das Buch „Auf Wasser gebaut“ über den deutschen Pavillion der Biennale Venedig (2009–2022) und spricht in English. “For all you typo nerds” he shows us a typeface designatedly designed for the book by François Elain at Till’s studio HelloMe and a really nice cover with inverted silver and white paper effect. Nice if you are into art books and catalogues.

Jenna Gesse: Königswege zum Unglück

Als nächstes kommt Jenna Gesse nach vorn, im Gepäck ihr strahlend gelbes Büchlein, das „Königswege zum Unglück“ aufzeigt, Strategien also, die wir lieber kennen sollten, um sie wahlweise zu bekämpfen oder wegzulächeln. Ein Beispiel? „Seine Vergangenheit nutzen, um die Gegenwart zu zerstören“. Jenna hat all diese Kurzsätze von Frank Berzbach auf einer alten Schreibmaschine getippt („weil ich wollte, dass man es sieht, wenn ich mit Kraft in die Tasten haue“). Die entstandenden Wortbilder geben dem Text weitere Ebenen. Für alle, die sich gern reflektieren oder noch „etwas Kleines“ verschenken möchten.

Oliver Johannsen, Reinhard Deutschmann: Hypergraphie

Nach dem Intermezzo mit der Schreibmaschine kommen Oliver Johannsen und Reinhard Deutschmann (ja, Künstlername!) vom Kollektiv Hypergraphie nach vorn. Hypergraphie ist ein manischer Zustand, bei dem Betroffene eine „zwanghaften Schreibwut“ auf allen Flächen erleben. Nicht ganz von der Hand zu weisen für ein Künster·innenkollektiv, das hauptsächlich Graffitti praktiziert. Einmal im Jahr sei „Tag der Abrechnung“: Alle Mitglieder zeigen schonungslos alle Arbeiten aus einem Jahr. Das Kollektiv diskutiert und sammelt den besten Content im hier präsentierten Magazin, inkl. lyrischen Sternstunden wie „Ode an den Backjump“. Zu erwähnen ist die DIN 1451, einstmals Normschrift für Verkehr und Logistik, die dem Katalog in mehrfach analog-digital-schablonierter Aufarbeitung als Headline-Schrift innewohnt (auch zu sehen auf der Webseite). Für alle, die sich für kollektiven Ungehorsam begeistern.

Frank Ortmann: Schreibenlernen mit der Hand bildet Formsinn und Verstand

Mit dem Schreiben kennt sich auch Frank Ortmann aus, der originale Schreibvorlagen zur Schulausgangsschrift (SAS) von und mit Renate Tost gesammelt, nachgezeichnet und in Buchform verewigt hat – einfach „weil es mich angekotzt hat“, dass die SAS als Auslaufmodell angesehen und immer gefragt wird: „Können wir die nicht weglassen?“ Nein, im Gegenteil, denn es gab noch keine Abhandlung über die SAS. Diese Lücke haben die beiden nun mit dem durchaus süffisanten Titel „Schreibenlernen mit der Hand bildet Formsinn und Verstand“ geschlossen. Für alle, die mal wieder zu den Ursprüngen zurückwollen.

Yulia Popova: How many female type designers do you know?

Yulia Popova is very glad to present her book “How many female type designers do you know?“ at Typostammtisch in particular because according to her, the project started at a Typostammtisch a few years ago. In her book, she portrays women in the industry, placing biographies at the beginning of the book because „they are important“. The project started as a graduation project and was extended by a large research part on early female type designers. Highly recommended and also part of our Typostammquiz Gabentisch in December. Thanks, Yulia! 

Ulrike Rausch: Making Fonts!

Die alphabetische Reihenfolge bringt mitunter schöne Cluster hervor: Als nächstes zeigt uns Ulrike Rausch (definitely a female type designer we know) die Bücher „Making Fonts“ und „Designing Fonts“, die sie gemeinsam mit Chris Campe geschrieben hat. Wem der Unterschied zwischen beiden Titeln spontan nicht klar ist: es gibt leider viele. Eigentlich sollte „Designing Type“ lediglich die englische Version von „Making Fonts“ sein, am Ende sieht es aber aus wie ein anderes Buch. Nach fünf Minuten Blättern unter der Kamera und kurzweiligen Insights zu Verlagsentscheidungen steht fest: das Buch für alle, die digitale Schriften machen oder machen wollen.

Martin Z. Schröder: Essayreihe

„Was kann man da machen, mein Buch ist so hässlich?“ Fragen wie diese hört Martin Z. Schröder öfter. Üblicherweise rät er: „Nichts. Wechseln Sie den Verlag!“ – wieder so eine Überleitungsperle der alphabetischen Abfolge, vielleicht aber auch schriftgestaltungsimmanentes zwanghaftes Herstellen von Parallelen in einer diversen Menge. Bitte um Nachsicht. Zurück zu Martin Z. Schröder, dessen besagter Ratschlag der Anfang einer bisher 12-jährigen Zusammenarbeit an der Essayreihe des Verlags Zu Klampen war. Ziel der Neugestaltung der Serie (in Abgrenzung zu „diesen ewigen Ölgemälden“): rein typografische, zeitlose Titel, „kein Brimborium“. Durchdachte Gestaltung und durchdachter Inhalt. Für alle, die gern im Bett lesen (die Fußstege sind nämlich extra breit für die Daumen).

Jesse Simon: Berlin Typography

Next one up: Jesse Simon (our host of October’s type walk). Welcome back! Jesse shows his book “Berlin Typography” and explains that this project started in 2016 by spotting the “Betten-König” sign in Lichtenrade. Afterwards, he headed over to documenting the city rigously. “And by ‘rigously’, I mean walking every street (multiple times)”, Jesse explains. Somehow, his efforts are “a race against time” because a lot of signs are disappearing, unless buildings are protected by Denkmalschutz which means that the signs will stay as well. We are happy to have a copy of “Berlin Typography” on the Gabentisch. Thanks, Jesse!

Patrick Marc Sommer: Das ABC der Typografie

Patrick Marc Sommer zeigt uns das Buch „Das ABC der Typografie“, das er gemeinsam mit Natalie Gaspar geschrieben hat. Entstanden ist das Projekt zu Beginn der Corona-Zeit, dementsprechend gäbe es „abwischbares Papier“. „Wir wollten ein kleines Buch machen, aber es sind dann doch 400 Seiten geworden“, so Patrick weiter. Das Werk ist sehr nah an In Design und gibt praktische Hinweise zu vielen, vielen alltäglichen Themenbereichen der Gestaltung mit Schrift. Hinsichtlich der bald erscheinenden 2. Auflage ruft er zu Verbesserungs- bzw. Ergänzungsvorschlägen auf. Laut Selbsteinschätzung „für Studierende und Berufseinsteiger·innen“.

Felix Walser: Ruth Wolf-Rehfeldt

„Vor 5 Jahren war ich schon mal beim Typostammtisch und habe etwas vorgestellt.“, sagt Felix Walser, der uns den Katalog zur tollen Ruth Wolf-Rehfeld Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinett mitbringt. Er erzählt, ähnlich wie Jenna Gesse, von den technischen Limitationen, die das Medium Schreibmaschine mit sich bringt und es gerade deshalb, gerade heute so interessant machen. Es sei nicht so einfach, den Typewritings von Wolf-Rehfeld im Katalog „gestalterisch etwas entgegenzusetzen“, so Felix. Da die Texte jedoch „einen Monat zu spät kamen, hatten wir Zeit“. Am Ende fand doch noch die eigens für das Projekt digitalisierte Variante einer alten DDR-Schreibmaschinenschrift ihren Platz im Buch. Für Ausstellungsbesucher·innen und Schreibende.

Stefanie Weigele: Spitzfederkalligrafie

Als nächstes begegnen wir der beeindruckenden Schreibkunst von Stefanie Weigele, die ein Kompendium zur „Spitzfederkalligrafie“ geschrieben hat. Es bietet umfassende Informationen zu Ursprüngen (klassische englische Schreibschrift), Werkzeugen, Übungen, Körperhaltung, Verzierungen, und und und, was uns Stefanie mit der ihr innewohnenden, mitreißenden Begeisterung für das Thema vorträgt. Für alle, die sich für 2023 etwas vorgenommen haben – und zu gewinnen beim Dezemberquiz. Danke, Stefanie!

Sascha Thoma, Ben Wittner: Bi-Scriptual

Ben Wittner und Sascha Thoma leiten mit ihrem Buch „Bi-Scriptual“ den letzten Teil der Buchvorstellungen ein – qua alphabetischer Reihenfolge ein Cluster, das sich mit Multiscript-Typografie beschäftigt. Die beiden waren im September schon bei uns zu Gast; heute geht es ausnahmslos um das Buch. Aufgeteilt in die Kapitel Arabic, Cyrillic, Devanagari, Greek, Hangul, Hanzi, Hebrew, Kanji/Hiragana/Katakana, sowie einen Essaypart, gibt es uns Herangehensweisen und Beispiele zur Gestaltung mit mehreren Schriftsystemen an die Hand. Für alle, die über den Tellerrand blicken.

Yi Meng Wu: Yaotaos Zeichen

„Yaotaos Zeichen“ von Yi Meng Wu ist ein Kinderbuch. Ein Herzensprojekt, in dem Yi Meng ein franko-chinesisches Umfeld zeichnet. Es geht um ein Archiv chinesischer Schriftzeichen in Lyon, das es wirklich gibt, und um die Zeit zwischen den Weltkriegen, „als das Bauhaus nach China schwappte“, wie sie erklärt. In der Geschichte findet ein kleines Mädchen einen Koffer mit chinesischen Schriftzeichen und macht sich auf eine lange Reise. Ausgezeichnet als eines der „schönsten Bücher Chinas“. Für vorlesende Typografiebegeisterte.

Susanne Zippel: Meine Heimat Zwei Länder

Den Abschluss bildet Susanne Zippel mit ihrem Buch „Meine Heimat Zwei Länder“. Dieser Satz stimmt zwar grundlegend, trotzdem zeigt er nicht annähernd, welches Ausmaß dieses Projekt hat: Es geht um nichts weniger als persönliche Geschichten von Menschen, die die Wende miterlebt haben. Schonungslos, ehrlich, aufwühlend. Susanne hat alles selbst zusammengetragen, gestaltet und verlegt (Exemplare auf Anfrage). Jedes Buch hat ein individuelles, magnetisches (Wende-)Cover und beinhaltet jede Menge Herzblut. Und als wäre das nicht genug, hat Susanne auch koreanische Freunde, die mit der Teilung ihres Landes ähnliche Erfahrungen wie wir gemacht haben, zu ihren Geschichten befragt. All diese Erfahrungen stellt sie gegenüber und nebeneinander. So schön unser 5-Minuten-Format ist – für Susannes Buch war es zu kurz. Das Buch für alle, die sagen wie es ist und war.

Stillleben mit Lampen und Büchern
Nach den Vorträgen blieb viel Zeit, um die Bücher in Ruhe anzuschauen.
Jesse Simon shows the initial sign: “Betten-König”.
Das Publikum lauscht Martin Z. Schröder.
Die Intensität von Susanne Zippels Projekt geht unter die Haut.
Quizfrage zum Abschluss: Wie viele Bücher hat Ulrike Rausch geschrieben?

17.11.2022: Bücherstammtisch

So leichtfüßig wie beim letzten Typostammtisch (hier unser Nachbericht) gehen wir gemeinsam in den November. Die Tage werden kürzer, die Abende werden abendlicher und wir Schriftmenschen sehnen uns mehr und mehr nach wärmender, buchangereicherter Kost.

Also laden wir euch zur Buchvorstellung ein! Ähnlich sportiv wie bei einem traditionellen Pecha Kucha, bei uns allerdings abgehalten als analoges Vortragsformat, stellen Berliner· oder Nahberliner·innen (zum Beispiel aus Potsdam) ihr Buch vor. Alle ausgewählten Bücher sind in den letzten Jahren erschienen und haben, logisch, Schriftbezug, innen oder außen. Die Autor·innen und/oder Designer·innen selbst bringen sie mit und präsentieren sie für uns.

Um Vorfreude zu schüren, bleibt die Liste der buchvorstellenden Menschen vorerst geheim. (Zudem warten wir noch auf Rückmeldungen/Bewerbungen und hätten noch ein, zwei Plätze zu vergeben.) Dafür lüften wir nun ein anderes Geheimnis, nämlich das um den Typostammtisch #100: Info weiter unten. Bitte scrollen durch Weiterlesen!

Wann? Donnerstag, 17. November 2022, 19 Uhr; Einlass ab 18:30 Uhr
Wo? Eisenacher Straße 56, im Studio LucasFonts, 2. Hinterhof, 10823 Berlin-Schöneberg

Bis dahin,
Euer Typostammtisch-Team


Vom 4. bis 12. November findet in der Oberlandstraße ein interdisziplinäres Festival über Zuhause, Stadtökologie und nachhaltige Formen des Zusammenlebens statt, bei dem der großartige syrische Kalligraf Mouneer Al‘ Shaarani Workshops gibt. Galerie p98a bietet vom 17. November bis 4. Dezember in der Reihe Wir machen Bücher Lesungen, Gespräche, eine Ausstellung und vieles mehr. Im Rahmen der Ausstellung zum Hannah-Höch-Preis 2022 sind ab sofort und bis Anfang Februar im Kupferstichkabinett die Typewritings von Ruth Wolf-Rehfeldt zu sehen.

Hinweis in eigener Sache:

Typostammtisch #100 (ja, 100!!!) wird ein Quiz an einem ganz besonderen Ort und zwar erstmalig, richtig vorweihnachtlich, in einer Kirche. Genauer gesagt im KulturRaum Zwingli-Kirche in Friedrichshain. Bitte haltet euch bei der Planung von Firmenfeiern und Familie den 15. Dezember frei! Wir würden uns freuen, viele Weggefährt·innen, Stamm- und neue Gäste zu diesem besonderen Jubiläum begrüßen zu dürfen. Die Ratefüchse unter euch konnten ja hinreichend Kraft und Wissen sammeln: Es ist pandemiebedingt das erste Typostammquiz seit drei Jahren!


Die Titelzeile zeigt eine Schrift von Sina Otto mit dem Arbeitstitel Schöneberg, geboren 2015 und gewachsen in der Klasse von Lucas de Groot 2016/17. Release geplant für 2023.

Nachbericht 98. Typostammtisch: Type Walk with Jesse Simon

Nur so viel auf Deutsch: Das war ein Hammer. Auf dem Type Walk mit Jesse Simon – es wird nicht der letzte sein! – haben wir so viel über unsere Stadt gelernt wie selten. Und das kondensiert auf einen kurzen Abschnitt der U-Bahnstrecke U7. // The rest of our Nachbericht will be in English so that we can quote easier from what we learned with Jesse Simon at his first Schriftspaziergang with us. Disclaimer: it will not be the last, he promised.

Soviel sei jetzt schon verraten: Es wird Nachschulkurse in städtischer Typografie mit Herrn Simon geben. // Starting our first, but surely not the last of Jesse’s Type Walks with us. (All photos Lucas de Groot except a few by the author herself.)
Ja, wir finden auch, dass das ein Grund zur Freude ist! // Did you recognise where we are?
U-Bahn-Typografie, Symbolbild. Was könnte es Schöneres geben als funktional genutzte Buchstaben. Exemplarisch: Regenrinne. // Surely Berlin’s most beautiful rain gutter: a lovely bold U in the U-Bahnhof’s outer architecture.
Die schönste Regenrinne Berlins. // From the very start, Jesse pointed out (and pointed at) details you wouldn’t have noticed even when travelling a thousand times by this very station.

We started our tour underground at Fehrbelliner Platz. With public transport in Berlin, like elsewhere, “it is all about standardisation versus random organic growth” and these two concepts surpass each other again and again. This is how Jesse introduced us to the topic, and into that glorious period in the Sixties and Seventies, when 60 (!!!) new U-Bahn stations were built in Berlin. Almost all of U7 was constructed then, Fehrbelliner Platz in the year 1971. In comparison: only 11 new stations have been built from 1989 until now, in 28 years. “Berlin’s U-Bahn was formed by the forces of history more than a grand plan“. So one specific thing about the Berlin U-Bahn is, that “it is full of gaps, it’s incomplete” — even districts have been built with U-Bahn stations being promised which were never built (referring to Märkisches Viertel and large sections of Spandau).

Eine wichtige Nord-Süd-Achse durch Berlin. // The first section of what wold become the U7 was built in 1924–1930 as a branch of the Nord-Süd line.

The U7 stations we know and those we visit today were designed by Rainer Gerhard Rümmler (Wiki article with all his stations listed). Rümmler was the Oberbaurat (Chief City Planer) of Berlin, working for the senate’s building and housing department. Another important name here is Werner Düttmann who constructed the Hansa-U-Bahn station, but mostly other buildings (not stations) in the post-war era.

Habt ihr jemals die Riesenpfeile beachtet, die die Fahrtrichtung anzeigen? // Adorably über-practical arrows!

What we see today, is that each station we encounter at the U7 was designed with concern and a concept of having them integrated into their surroundings — still standing out in function and aesthetics. And the aesthetics of those days was astounding. It was functional and practical and deeply humanistic at the same time.

Zutiefst humanistisch und funktional. // The aesthetics of those times were as humanistic as functional, which is strongly connected of course.

The times demanded to develop truly unique stations after those from earlier days had been criticised as “too samey”. So, from that on, “Rümmler started to develop his Berlin vernacular style where everything was about difference”, Jesse summarises. “The pop architecture of the late Sixties was about breaking away from the rigid forms of pose-war modernism and moving into a brighter future where everything is curved, soft and gentle”.

Curved, soft and gentle indeed: outdoors at Fehrbelliner Platz, we find ourselves standing at a red organic-shaped happiness of a building from the Seventies like on a sunny island — even more so because we are surrounded by, frankly speaking, fascist architecture. Buildings from the early Thirties which yes, “spread some elegance”, but most of all an air of correctness, control and overwhelming dominance.

What a contrast: monotonous, neutral, dominant buildings caging Fehrbelliner Platz…
… with our instant fave station like a bright red round spot or dot in the middle.
Talking about dots: not sure why these dots are here, may because of differentiation. // Punkte für Wiedererkennungswert? Sicher nicht durch eine Akzidenz Grotesk mit seltsam abgeschnittenen Kleinbuchstaben r.
Except for the nosy interruptions, this was a good spot for a little lecture along the trip.

For those who know or who travelled through: the Bierpinsel in Steglitz at the U9 extension would be another great example of those days, almost like a monument; and also Dreilinden is part of Rümmler’s famous legacy. Like Tegel airport and all the stations on the way to Tegel, those buildings were designed in the times when the city was divided. Which also were the times when architects used Letraset. Letra-, wait, what?

Am U-Bahnhof Jungfernheide erwartet uns eine weitere Farb- und Formexposion. // Letraset-inspired architecture? Actually, architects did work with those (in case you don’t know) sticking letters which the elderly amongst us loved.
Die Eurostyle ist eine 1962-er Neuerscheinung von Aldo Novarese für Societa Nebiolo S.p.A. und H. Berthold AG, eine überarbeitete und mit Kleinbuchstaben ergänzte Version der Microgramma von 1952. // U7 Jungfernheide turns out to be another psychedelic experience.

At some point during our tour, Jesse leaves “the path of non-commentary objectivity”, as he warns us. The Sixties and Seventies are “the most endangered era of architecture being destroyed. It seems to be a problem to still accept that Berlin was being capable of taking care of itself”. To him (not only to him), this is “really problematic”. Because what makes Berlin so great is that you can (still) see all the layers formed by history – buildings as the truest proof, like eyewitnesses of the times the city has gone through. 

Schrift erkannt? Es ist die Arnold Böcklin, 1904 von der Schriftgießerei Otto Weisert in Stuttgart entworfen. // “For those who were into Eighties indie rock: Dinosaur Jr. used this typeface for their 1st and 2nd albums”, Jesse reports.
Bitte das Kleingedruckte in den Fliesenaussparungen beachten (rechts im Bild). // Please note the inserts in the tiles: they contain captions to the pictures of Wagner operas on the U-Bahn walls behind the tracks, which you see while waiting.
Ornaments impersonating Wagner operas plus explanatory photos. // Wilde Illustrationsmixtur am Richard-Wagner-Platz.

The most shocking example of historical misrepresentation, not to speak about falsification — in German we have the beautiful word Geschichtsklitterung — awaits us at Bismarckstraße. Beware. That glossy grass-green of the underground walls of the station might be considered “a fine colour” — but why is it here? Not to mention the typefaces.

“Bismarckstraße” left … // und keine fünf Meter weiter…
… another “Bismarckstraße”, right-hand side from where we stand. We couldn’t stand looking for too long. // Typografisch war die Tour kaum auszuhalten. Was wir alles sehen mussten an Schrift. Deswegen so wenig Kommentar dazu.

The walls at Bismarckstraße used to be in small yellow Sixties tiles. Now, why so huge? And what was the motivation behind the choice, or rather, the mix of type here? Why re-implement some kinds of wanna-be Twenties type in a station from a much later period? Nobody seems to take care. „There is no respect for the era of division”, Jesse says in a dark voice. As true and cruel as it is: tourism rules.

Dem guten Geschmack wir hier auf der Nase herumgetanzt. // “There is no respect for the era of division”, our tour guide says.

Sadly, there has not been something like a conscious “choice” whatsoever here, not color, not type. The whole renovation of Bismarckstraße U-Bahn station is, in the best way of interpreting it, “an attempted level of classicism that doesn’t belong here”. Even with a lot of goodwill this is not convincing or satisfying.

Luckily Jesse takes us further through Berlin’s diverse underground to experience some more of the gorgeous psychedelic settings along the U7.

Schrift halbwegs okay (man muss ja schon froh sein) nur kein Eszett. Und warum so sachlich auf explosivknalligem Grund?
Bei einem kurzen Zwischenspaziergang auf Höhe Wilmersdorfer Straße begegnen wir diesem schönen Schriftzug. // An outdoor encounter that would also have fit the city type walk we had lately.
Back on the track. We spent three hours with Jesse and he was truly generous with his knowledge. // Unsere Tour war höchst kurzweilig, nicht nur, weil wir etappenweise weiterfuhren.
But what happened here at Adenauer Platz?! // Schnell weiter!
Das hier ist Jesses Lieblingsbahnhof. Hier stimmt für ihn alles, sogar die Schrift schmiegt sich harmonisch ein. // We still miss the Eszett, but this is by far the most elegant and harmonious U7 station to Jesse.
Here at Konstanzer Straße, Jesse points out the strong links between design, colours, architecture, function, and how everything fits. // Hier passt alles zusammen, Form- und Farbgebung harmoniert.
Ein apartes Detail vom Anfang der Reise. // This was at the U3 entrance at Fehrbelliner Platz. “The same gate appears at Hohenzollernplatz, Jesse said. “I like that Rümmler incorporated it into this very modern building s a not to the past.”

After all this variety of impressions and numerous stations, our group happily walked from Zoologischer Garten to Schleusenkrug beer garden, also a premiere. There we not only could supply our speaker with his well-deserved beer, but also enjoy a true Berlin Currywurst and very nice potatoes and stuff. Which lifted our spirits in regard to the city’s originals. So, the evening ended in a big group table with those visitors who came directly to Schleusenkrug, with heated conversations, and more beer. A true Typostammtisch-Stammtisch after all. Phew.

Thank you Jesse for this most wonderful Type Walk! Lovely meeting you! Let’s continue the ride.

Thank you Jesse Simon! You might like to find out about his books and follow him (aka Berlin Typography or @Berlin_Type) on Twitter and Instagram. — Photos Lucas de Groot (plus a few by Sonja Knecht) for Typostammtisch Berlin.

27.10.22: Type Walk mit Jesse Simon (Berlin Typography)

Nach dem Graffiti-Walk im August haben wir im Oktober ein weiteres Spaziergangshighlight für euch: Jesse Simon zeigt uns (typo-)grafische Streiflichter der Stadt, ober- und unterirdisch entlang der U-Bahnlinie 7. Jesse schreibt, lehrt und gestaltet. Er hat in Oxford Geschichte studiert und ist seit 2012 in Berlin unterwegs, meistens mit Kamera. Was er sieht, dokumentiert er in Büchern (Berlin Typography 2021, Plattenbau Berlin 2022) und Social Media Accounts (Berlin Typography, Berlin Texture, U-Bahn Berlin). Zum Spaziergang kombiniert er diese Kategorien und gibt euch einen Einblick in seine Sicht auf die Stadt.

Nach dem Type Walk kehren wir im Schleusenkrug am Zoo ein (dieser Biergarten hat übrigens passend zum Thema ein tolles Neon-Schild). Wir freuen uns, wenn viele von euch dazustoßen, auch wenn ihr nicht am Spaziergang teilnehmen könnt. Wie bei all unseren Stammtisch-Stammtischen: Bringt gern Skizzen oder Fundstücke, die ihr teilen möchtet, mit in den Biergarten! Es gibt immer etwas zu besprechen.

Bitte beachtet unbedingt auch unsere Hinweise in eigener Sache unten!

Spaziergang, begrenzte Plätze mit Anmeldung:
Treffpunkt um 15:00 Uhr am U-Bahnhof Fehrbelliner Platz. Wo genau, geben wir den Teilnehmenden bekannt. Bitte bringt Jesse einen Teilnahmebeitrag von 10€ möglichst passend mit. Der Spaziergang wird auf Englisch stattfinden. Bitte beachtet, dass ihr ein gültiges Tagesticket AB benötigt.

Type Walk in English, please register (limited attendance): We meet at U Fehrbelliner Platz at 3 p.m. Please bring a 10€ fee for the walk in cash. Also please make sure you have a valid day ticket AB. Afterwards, from 6:30 p.m., join us without registration for food, drinks and type discussions. Of course you can also come if you can’t attend the type walk. The Typostammtisch evening will take place at Schleusenkrug Biergarten near Zoologischer Garten. We’ll sit outside under a roof.

Stammtischabend ohne Anmeldung im Schleusenkrug Biergarten: ab 18:30 Uhr. Wir sind draußen unter dem Dach, dicke Jacken anziehen! Bei sehr schlechtem Wetter können wir auf drinnen wechseln.

Bis dahin,
Euer Typostammtisch-Team


Das Buchstabenmuseum hat nun eine Neon-Werkstatt! Man kann Touren mit Neon-Fokus buchen oder Workshops, um selbst Hand anzulegen. Vom 12.–16. Oktober fand das InScript Festival für experimentelle Schrift online statt. Der Ticketverkauf mit Zugang zu Videoaufzeichnungen ist leider geschlossen. Es gibt aber einen Newsletter, um die Veranstaltung im Auge zu behalten. Ebenfalls online, aber in der Zukunft, nämlich vom 27.–29. Oktober, finden die ATypI Tech Talks statt. Wer Weihnachtskarten selbst gestalten und zusätzlich etwas über Lettering lernen möchte, kann im November und Dezember Workshops in der Makery in Kreuzberg buchen. Wer eher in Richtung Letterpress gehen möchte: Auch in der p98a finden monatlich Workshops statt.

Einige Hinweise in eigener Sache:

Typostammtisch #99 im November wird ein Buch-Pecha-Kucha. Dafür brauchen wir euch, liebe Berliner Autorinnen und Autoren! Wer hat in den letzten 5 Jahren ein Buch geschrieben und/oder typografisch gestaltet und möchte das in einem 5-minütigen Vortrag vorstellen? Es sollte auf dem Markt sein, also bitte keine Entwürfe. Meldet euch: info@typostammtisch.berlin.

Typostammtisch #100 (ja, 100!!!) wird ein Quiz an einem ganz besonderen Ort. Bitte haltet also bei der Planung von Weihnachtsfeiern und Familientreffen nach Möglichkeit den 15. Dezember 2022 frei. Wir würden uns sehr freuen, viele Weggefährtinnen und ‑bereiter des Typostammtischs, sowie Stammgäste, Ratefüchse und Neubesucher·innen zu diesem Jubiläum begrüßen zu können.

A propos neu: Wir suchen zuverlässige Teammitglieder für die nächsten 100 Typostammtische* [m/w/d, wahlweise mit Logistik-, Schreib-, oder Organisationstalent, in jedem Fall mit einer großen Portion Typo-Enthusiasmus und Offenheit. Ob Studierende oder Profi, jede(r) kann etwas beitragen]. Meldet euch, gern persönlich oder über die oben genannte E-Mailadresse.

* Keine Angst, ihr müsst nicht 100 Ausgaben durchhalten; der geteilte Rekord liegt bei 50.


Das Titelbild ist eine Collage aus Jesse Simons Sammlung. Hint, hint: Dies sind Orte, die wir auf dem Spaziergang live erkunden werden. Es wird aber weit mehr als Helvetica zu sehen geben, versprochen! Die Titelzeile zeigt einen Schriftentwurf mit Arbeitstitel Diplomat von Alexander Rütten und Olivia Wood von Ligature_type.

Nachbericht 97. Typostammtisch: Eps51

Aus zwei geplanten Vorträgen wird an diesem Abend einer: Pia Christmann und Ann Richter von Studio Pandan müssen leider kurzfristig absagen. Schade und gute Besserung, wir finden bestimmt einen Nachholtermin.

Bevor es losgeht: Auf ein Kennenlern-Chili und Tannenzäpfle Bier mit Sascha Thoma und Ben Wittner von Eps51. Chili: lecker. Bier: schmeckt für Sascha als einem gebürtigen Schwarzwälder nach Heimat. Es gäbe aus dieser Gegend neben dem genannten noch Waldhaus Bier, das sei noch ein Stück besser, in Berlin aber schwer zu bekommen. Immerhin die zweitbeste Wahl im Getränkemarkt getroffen, puh.

Mit dem Thema Herkunft geht’s direkt weiter, als die Lichter ausgehen und der Beamer an: „Warum haben wir so ’nen doofen Namen?“ leitet Ben ein. Klar, denkt man, eps = encapsulated post script, nicht unbekannt in der Gestaltungsbranche. Die Zahl? Tja, nun.

 

Alles viel zu weit gedacht: „Wir haben uns in der Erbprinzenstraße 51 in Pforzheim kennengelernt.“ Ach so! Kontaktaufnahme mit den ca. 51 Anwesenden im Publikum: „War schon mal jemand in Pforzheim?“ Einige zaghafte Meldungen, dann große Einigkeit darüber, dass gerade eine Kleinstadt wie Pforzheim die Community nährt – besonders wenn man sich dort während des Studiums kennenlernt, wie die beiden Vortragenden. 

Irgendwann geht es für die meisten aber raus aus der Kleinstadt, hinein in die weite Welt. So auch für Ben und Sascha, die seit 2008 in Berlin sind. Ihr Designstudio Eps51 ist mittlerweile gewachsen und zählt heute 10 Mitarbeitende. Gemeinsam gestalten Sie vor allem für die Kulturbranche: Kunstraum Kreuzberg, Tanzfabrik Berlin, Kommunale Galerien Berlin, die Berliner Festspiele. Gerade bei letzteren zeigt sich der Gestaltungsansatz des Studios: Eine Schrift für jedes Festival; die Visuals entstehen assoziativ, teilweise zufällig. Ob Farbe und Olivenöl in einer Müslischüssel oder ab in den Baumarkt, um aus Beton Objekte zu bauen: „Funktioniert auch als Keyvisual“, so Ben. 

Farbe, Olivenöl, Müslischüssel für das Musikfest Berlin 2019. Foto: Eps51
„Ich hab im Studium schon davon geträumt, einer Kundin einen schwarzen Strich auf einem Poster zu verkaufen“, so Ben. Beim Jazzfest Berlin 2019 wurde der Traum dann wahr. Foto: Sonja Knecht

Man kann also behaupten, Eps51 seien stilprägend für die Berliner Plakatlandschaft. Moment, „Wir machen keine Plakate mehr“, sagt Ben und konkretisiert: „Wir sind zwar klassische Printdesigner, aber wir differenzieren nicht mehr zwischen Print und Digital. Alles bewegt sich für Social Media.“

Und so zeigen sie bewegte Gestaltung, die Genregrenzen und Schubladenwände zum Schmelzen bringt – ganz wie die Kunst, die hier repräsentiert wird.

Das ICC Berlin war so ein allumgreifendes Projekt. Unter dem Motto The Sun Machine is coming down belebten die Berliner Festspiele 2021 das legendäre ICC wieder und öffneten es 10 Tage lang für Kunst, Kultur und Architektur – mit 70es Vibe und zugleich Blick in die Zukunft. Eps51 gewannen den Gestaltungsjackpot und entwickelten Visual Identity, Printmedien, Social Media, 3D Animation, Trailer, Ausstellungsdesign und Wegeleitsystem in einem. Wow, da kommt die Sonnenmaschine auf Touren.

Foto: Sonja Knecht
„Unsere Neuerfindung“: Das ICC als utopisches 3D-Rendering. 

Als Berliner Typostammtisch finden wir Berlin selbstredend toll – es ist aber auch nicht die ganz weite Welt, muss man sagen. Sascha und Ben kommen zur Biennale nach Venedig, wo sie 2019 den arabischen Pavillon gestalteten. Bens Lehrsatz: „Das wichtigste auf einem Kunstfestival sind die Tote Bags. Der Pavillon, der den schönsten Jutebeutel hat, bekommt am meisten Aufmerksamkeit.“ 

Foto: Eps51

Spätestens mit diesem Projekt klingt die Liebe zur arabischen Typografie an. Ihre Anfänge nahm sie für Ben und Sascha in Kairo. Streifzüge durch die Stadt waren interessanter für die beiden als Kurse an der Austausch-Uni. So kamen sie ab 2004 immer wieder nach Kairo und entdeckten über die Jahre eine Stadt, in der auf Beschilderungen „selbst der kleine Elektrikerladen vom Youssef ‚Electricity‘ auf Englisch schreibt“, so Ben. 

Reklame für besagten Elektriker. Foto: Sonja Knecht

Take this, Schilderwald Deutschland! Foto: Sonja Knecht

Ein Paradies für multilinguale Typografie also – für Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Missverständnis und Verständnis. Für Interpretation und Annäherung. Ein großes Thema, das Sascha und Ben auch in ihrem Buch Biscriptual beleuchten, 2018 erschienen im Schweizer Niggli Verlag. Hier geht es neben dem Zusammenwirken von Arabisch und Latin auch um interkulturelle Gestaltung mit Kyrillisch, Griechisch, Hangul, Devanagari, Japanisch und Chinesisch.

Eine Frage, die auch Schriftgestaltenden oft begegnet: Muss man die Sprache sprechen, um die Zeichen zu zeichnen bzw. anzuwenden? Sascha und Ben haben ihre ganz eigene These dazu: Sie selbst hätten keine Arabischkenntnisse, jedenfalls nicht über die folgenden vier Faktoren hinaus: Soziokulturelle Aspekte, Ästhetik, Sprache/Script, Technologie. „Be humble und informier dich über diese vier Bereiche, bevor du mit einem Script gestaltest, das nicht deine Muttersprache ist.“, so Ben. 

Welche Herangehensweisen und Tipps haben die beiden? Reisen! Lernen! Immer Muttersprachler·innen fragen, gern mit Designkompetenz. Den Schriftstil der jeweils zuerst dagewesenen Komponente nicht imitieren, sondern die Anatomie der scriptinternen Eigenarten beibehalten. Ben und Sascha zeigen viele Beispiele für Gestaltung mit mehreren Schriftsystemen – interessante, gekonnte, lustige, gruselige: zum Beispiel Latin mit verkehrten Kontrasten oder Arabisch, das den Duktus gebrochener Schrift imitiert.

Übertragung von scriptinternen, historisch gewachsenen Prinzipien funktioniert meist nicht.
Die arabische Adaption des Vodafone-Logos basiert offensichtlich auf dem vorhanden lateinischen e. Mittlerweile sei dieses Logo glücklicherweise überarbeitet, so Ben.
Gefundenes Fressen für interkulturelle Schriftfeldforschung in den Straßen Kairos.
Wie man die Leserichtung bewusst in die Gestaltung einbinden kann: In dieser Publikation entscheiden Leser·innen vor Gebrauch, welche Seite der Bindung aufgeschnitten wird.
Schriftwahl is key. Hier ein gelungenes Beispiel, in dem Latin und Arabisch eine unverkennbare, ästhetische Einheit bilden.
Auch hier eine gelungene Einheit, diesmal von Chinesisch und Latin.

Was heißt Harmonisierung, wenn man mit verschiedenen Schriftsystemen gestaltet? Muss alles immer gleich aussehen? Nicht unbedingt: Faktoren wie Ausgewogenheit, Leserichtung und -gewohnheit, Kontraste, Strichstärken, Textmenge spielen eine Rolle. Eine gemeinsame optische Klammer muss gefunden werden. Steht übrigens alles im Buch.

Abschließend, bevor eine angeregte Diskussion mit Stimmen aus dem Publikum startet, noch der durchaus nachklingende Satz: „Keine Angst haben, sonst macht man gar nichts.“

Darauf ein Schwarzwälder Bier. Vielen, vielen Dank an Sascha und Ben!

Nachgespräch moderiert von Lukas Horn. It’s all about intercultural understanding! Amen.
Interessiertes Publikum, zahlreich erschienen.
Ging ganz schön lang diesmal … Danke an alle Gäste und Helfer·innen! Stellvertretend hier winkend Zita Kayser, zu Besuch aus Wien. Foto: Sonja Knecht
Friedrich Althausen, Georg Seifert, Kai Sinzinger und Andreas Frohloff

29.09.2022: Studio Pandan & Eps51

Beim September-Typostammtisch werden wir zwei Designstudios kennenlernen: Studio Pandan und Eps51 teilen sich ein Haus (in der Möckernstraße) und ein Fachgebiet (die Typografie). Gründerinnen Pia Christmann und Ann Richter (Studio Pandan), und Gründer Ben Wittner und Sascha Thoma (Eps51) geben uns Einblicke in ihre Arbeit und ihren Zugang zur Typografie.

Wann? Donnerstag, 29. September 2022, 19 Uhr
Wo? Eisenacher Straße 56, im Studio von LucasFonts, 2. Hinterhof, 10823 Berlin-Schöneberg
U-Bahn: U7 bis Eisenacher Straße
Bus: M43 oder M85 bis Albertstraße

Bis dahin, euer
Typostammtisch-Team


Vom 14.–18. September im Haus der Kulturen der Welt den Horizont erweitern: Zelebriert wird der Abschluss der Reihe Das Neue Alphabet, was hier nicht ausschließlich typografisch gemeint, sondern sehr weit gefasst ist. Am 15. September findet im Buchstabenmuseum der Launch der Schrift Silvana von Siri Lee Lindskrog statt, inkl. Ausstellungseröffnung. In der Galerie A–Z presents laufen derzeit die Counter-Sessions. In Ausgabe #2 geht es am 13. Oktober um Stillstand, Rituale und ein Record Release im Zeichen der Zeit – mit Florian Dombois. Vormerken solltet ihr euch auch die ATypI Tech Talks, die vom 27.–29. Oktober online stattfinden werden. Early-Bird-Tickets sind bis 19. September erhältlich! Vielleicht ein Randthema, aber toll (und Weihnachten kommt auch alsbald): Wer Lust auf Handwerkliches und selbstgemachte Notiz- oder Skizzenbücher hat, kann bei Franja online buchbinden lernen oder Wissen auffrischen; die Basics gibt es kostenlos.


Die Titelzeile ist in der Kottifraktur von Peggy Seelenmeyer gesetzt. Inspiration waren Berliner Straßenschilder, aber auch der Reiz, ultra-geometrische Schrift mit Fraktur zu kombinieren; Werkzeuge ein breites Holz für die vertikalen Frakturelemente, der Rest baut auf Kreisen (mit dem Zirkel gezeichnet) auf.

(Credit Foto rechts oben: Dahahm Choi)

Nachgespräch 96. Typostammtisch: Street Type Walk mit Oli und Martin

Vorfreude durch Toilettenpoesie
Der Typewalk hat noch gar nicht angefangen, da winken schon die Zeichen. Na dann …

Anja:
Lieber Lukas. Ich bin immer noch ganz beschwingt und im Flow von gestern. Graffiti und Stammtisch – Graffitisch und Stammiti. Egal, ich schweife ab. Toll, dass du Oli und Martin angefragt hast! Die beiden haben uns so viele Ecken gezeigt und große und kleine und keine Geheimnisse verraten … Wie geht’s dir heute morgen?

Lukas:
Hey Anja, du fasst das sehr gut zusammen, mir geht es ähnlich. Beschwingt und im Flow! Ich muss gestehen, dass ich vorher ziemlich aufgeregt war. Ich hatte mich die ganze Zeit gefragt, wie Graffiti beim Typostammtisch-Publikum ankommen würde. Würden die Teilnehmenden aufgeschlossen oder skeptisch sein? Auf jeden Fall haben Oli und Martin mit ihrer Art alle Barrieren abgebaut, falls dort welche gewesen wären. Wie hast du es empfunden als Schriftgestalterin? Was war neu für dich, was hat dich inspiriert und natürlich auch: Wie hast du die Gruppe wahrgenommen (die übrigens eine spannende Mischung von Menschen aus verschiedenen Altersgruppen und unterschiedlichen Arbeitsfeldern war)?

Treffen in der Hitze. Kurze Vorstellung und los geht’s!
Selber machen! Unsere Guides erklären ihre Idee des kollektiven Skizzierens im Biergarten. Dazu später mehr.

A:
Oli und Martin sind als Guides auf jeden Fall sehr empfehlenswert. Kurzweilig, witzig, kompetent, authentisch (da war er wieder, der -tisch). Es waren ja trotz Affenhitze ca. 15 Leute da (null Skepsis übrigens), mehr Frauen als Männer. Ich finde das deshalb erwähnenswert, da sich Martin und Oli intensiv mit der Teilhabe von Frauen im Graffiti beschäftigen: Sie gendern konsequent, rufen zur Selbstreflektion der Community auf, wirken auf mich absolut integrierend, obwohl (oder gerade weil) die Graffitikultur immer noch sehr männlich konnotiert ist.

Die beiden erwähnten im Laufe des Rundgangs auch weitere Schattenseiten: Kriminialisierung und teilweise auch Kriminalität, ein individuell selbstgezimmertes und nicht definiertes Moral-Gerüst, Rivalitäten und durch die Verdrängung ins Dunkle auch eine Art innewohnender Weltschmerz. Diese Gratwanderung zwischen Kunst und Kriminalität und was Oli und Martin dazu zu sagen hatten, fand ich sehr spannend. Wie ging es dir da? Du bist ja mit deutlich mehr Vorwissen in den Rundgang gestartet. Was hast du gelernt?

L:
Stimmt schon, ich bin mit Vorwissen reingegangen, muss aber sagen, dass viel auch für mich neu war. Das liegt daran, dass die beiden eine so tiefe Sicht ins Innenleben der Graffitiszene haben (selber in einem Kollektiv, gute Connections und eine eigene Meinung). Als ich noch Dorfkind war, habe ich erst richtig angefangen mich für Schrift zu interessieren, als ich Graffiti entdeckt habe. Gerade die Bilder, die aus Martins und Olis Umfeld stammten, haben mir einen richtigen Schubser in die Schriftwelt gegeben. Und jetzt höre ich von den beiden diese ganzen persönlichen Geschichten – schon abgefahren!

Ich mochte besonders, dass sie uns an die Nicht-Orte geführt haben (so wie Martin sie nannte). So Orte mitten in Berlin, wo einfach Stille herrscht und die Zeit etwas langsamer tickt. Aber drumherum ist Tumult, ganz normal. Das hatte was Poetisches. Dass wir als Gruppe einfach eine Abzweigung hinterm busy Supermarkt nehmen und plötzlich auf einer leeren Grünfläche stehen, ganz alleine. Und da ist dann Platz für Schrift, für Graffiti, für expressive Spielereien. Da hatten wir dann ja lustigerweise Zeit, Buchstaben zu erraten (oder auch nicht, hehe).

Nicht-Orte: Sie liegen mitten im überlebendigen Berlin, doch dort herrscht Ruhe. Die beiden zeigen uns mehrere davon, hier die Wiese hinter einem Supermarkt. Ein Ort für Schrift.
Buchstabenquiz hinterm Aldi. Wenn man sich viele Graffitis anschaut und versucht sie zu lesen, wird es irgendwann leicht fallen auch das hier zu lesen. Anhaltspunkte geben natürlich auch bekannte Sprayer·innen-Namen und deren Styles, die man wiedererkennt. (Bitte raten!)

Und wie du schon erwähnt hast, ich finde es auch total cool, dass die beiden ständig darüber reflektieren, was Graffiti heute bedeutet, wer daran Teil haben darf, was gut läuft und was sich verändern muss. Und sie sprechen nicht nur darüber, sondern setzen es auch in die Tat um. Wie bei ihrem Hypergraphia Festival in Potsdam, bei dem echt viele weibliche Graffiti Artists dabei waren. Das scheint sonst nicht die Norm zu sein.

Was hast du eigentlich Neues über Buchstaben erfahren? Also ich meine: Formen, Herangehensweisen, Techniken – sowas in die Richtung. Und dann würde ich auch sehr gerne von dir wissen, was dein Lieblingsort auf der Tour war und warum!

A:
Neulich hinterm Aldi – ja, das fand ich auch sehr cool. Ich konnte kaum eine Buchstabenform erkennen. Aber die beiden haben ja auch erklärt, dass bis ungefähr zu den 2000er Jahren ein Ausfeilen der Stile und Techniken zu beobachten war, bis viele Kollektive es dann irgendwann so perfekt drauf hatten, dass es ihnen langweilig wurde und sie sich an den Spaß und die intuitive, mitunter kryptische Herangehensweise erinnert haben (Anti Style). So entstehen dann tanzende Formen wie oben zum Beispiel.

Dass Graffiti tatsächlich etwas mit Tanzen zu tun haben kann, war mir neu: Martin und Oli haben die Körperlichkeit, die vor allem das schnelle Malen (Throw Up) erfordert, erklärt und auch demonstriert. Sie kreisten die Arme, reizten ihre Spannweite aus, gingen in die Hocke, federten und waren eins mit der Bewegung. Jeder für sich nach individuellen körperlichen Gegebenheiten und trotzdem fast synchron. Also ich klick’ ja sonst eher die Maus 😉

Das Tag kann die rudimentärste Form von Graffiti sein (hier weiß: „typo“).
Graffiti (vor allem die schnelle Variante Throw Up) sei wie tanzen, sagen die beiden. Das sieht man. So federt man synchron!
Martin und Oli am Abbubblen. Bubblestyle hat Tradition im Graffiti. Manchmal sprüht man nur einen Buchstaben (hier: B), der ähnlich wie ein Logo funktioniert.

Ansonsten war mir alles Mögliche neu: Fachbegriffe wie Headbangen (kopfüber auf dem Dach liegend mit der Farbrolle malen), Layup (kurz zu Reinigungszwecken abgestellte Züge bemalen) und Caps (verschiedene Sprühaufsätze ähnlich Pinselspitzen), dazu Infos über Farbzusammensetzung, verschiedene Crews und Umweltprobleme durch viel Abfall. Aber ich gehöre eben auch zu den Toys (sozusagen die Muggel der Graffitiwelt).

Du fragst nach meinem Lieblingsort. Mich hat nicht ein Ort speziell beeindruckt, sondern eher eine Aussage zum Thema von Oli: Für ihn hat Graffiti viel damit zu tun, hinter Türen zu schauen („hinter einer Tür öffnet sich plötzlich eine völlig neue Welt“), auch metaphorisch gesehen auf die andere Seite zu blicken, über Zäune zu gehen – manchmal über die im eigenen Kopf. Die Gratwanderung, das Dialektische, die Grauzone, das finde ich über Buchstabenformen hinaus das eigentlich Interessante. Denn bei aller Faszination muss man natürlich sagen, dass es deutlich mehr illegale Flächen gibt als legale. Deshalb meine etwas aufmüpfige Frage an dich: Du, Lukas, wem gehört eigentlich die Stadt?

L:
Der Deutsche Wohnen würde ich sagen, nech? Die Frage ist total präsent in Berlin, vor allem wenn’s ums Wohnen geht. Auf der einen Seite Konzerne mit viel Geld und Besitz und auf der anderen Seite die Bevölkerung, die wohnen möchte (ohne davon arm zu werden oder ständig aufgrund von Preissteigerungen umziehen zu müssen). Was die beiden erzählt haben, als wir vor dem großen Wandbild an der Schönhauser standen, fand ich sehr interessant. Das Mural war von einem neuseeländischen (bald aotearoaischen?) Freund legal gemalt worden, im Auftrag der Hausverwaltung.

Zu Graffiti gehören auch Wände, die in Auftrag gegeben werden. Diese stammt von einem Neuseeländer (einer der ersten Menschen, die ihren Doktor in Graffiti gemacht haben). Solche Arbeiten werden in der Szene gleichzeitig hoch geschätzt und abgelehnt, denn sie tragen auch zur Gentrifizierung und somit Verdrängung bei.

Im Gespräch kamen wir auf beauftragtes Malen. Martin erzählte, dass er für eine große Wand angefragt wurde und schon mitten in den Vorbereitungen steckte, als er plötzlich erfuhr, das die Deutsche Wohnen hinter dem Auftrag stand. Er brach ab, weil er keine Lust hatte, den Wohnkonzern mit seiner künstlerischen Arbeit zu unterstützen. Diese Anekdote reiht sich in die Tendenz ein, dass die Stadt zunehmend unter großen Konzernen aufgeteilt wird. Interessanterweise dient Graffiti manchmal dazu, ein Viertel erst hip zu machen: Der Wert einer Immobilie kann gesteigert werden, wenn ein schönes Graffiti dran klebt. Gleichzeitig kriminalisiert man den Weg dorthin, denn viele Künstler·innen sind in der Graffitiszene groß geworden.

Graffiti trägt die Frage, wem was in der Stadt gehört, spielerisch und plakativ in den öffentlichen Raum. Die Grenzen zwischen Besitz und Nichtbesitz werden verschoben, weil Crews oder einzelne Sprayer·innen sich mit Hilfe von Farbe und Botschaften bestimmte Spots, Fassaden, Orte oberflächlich aneignen und damit sagen: „Das ist jetzt meins, äätsch!“. Dabei gibt es verschiedene Facetten: Crews, die offen und frei sind (so wie Oli und Martin) und dann die Gangster, also Crews, die mit Kriminalität zu tun haben (Drogen, Waffen, Gewalt) und das auch nach außen kehren. Aber Hin oder Her, die Diskussion über Besitz und Teilhabe wird von Graffiti stark befeuert, behaupte ich mal. Es werden Machtverhältnisse hinterfragt.

Schicht über Schicht, Schicht gegen Schicht, Schicht für Schicht. Philosophie und Graffiti an legalen Wänden im Mauerpark.
Und wortwörtlich Farbschichten übereinander, Graffiti-Ringe quasi. Kann man zählen, dann weiß man wie alt die Wand ungefähr ist.

Was mir noch auf der Seele brennt: Die beiden hatten ein Blackbook dabei. Und ich habe gesehen, dass du auch akribisch reingemalt hast. Und das Buch hat dann die Runde im Prater gemacht. Was hat es damit auf sich gehabt?

A:
Haha, gute Überleitung. Ein bisschen Moderation muss schon sein in einem Nachgespräch. Nach so viel tiefgründigem und philosophischem Vordringen in Raum und Zeit endete unser Spaziergang nämlich, du sprichst es an, bei einem kühlen Bier im Prater und ging damit nahtlos in einen Typostammtisch im klassischen Sinn über. Es gesellten sich viele weitere Gäste dazu und so verbrachten wir den Abend glücklich und zufrieden bis es dunkel war … Moment – das Notizbuch!

Martin und Oli hatten die Idee, die freie und intuitive Herangehensweise an Buchstaben, die sie uns in ihrer Throw Up Session näher gebracht haben, in den Biergarten mitzunehmen. Das sah dann so aus, dass sie immer ein paar Buchstaben vorgegeben haben und die Anwesenden dazu Entwürfe beitragen sollten. Zum Beispiel kann ich mich an eine Aufgabe erinnern, drei Versalbuchstaben in einem Zug zu schreiben (Oneliner). Je später der Abend wurde, desto lustiger wurden natürlich auch die Aufgaben, z.B. „ein P, das hilft“ oder ein „Symbol mit O“. Dieses um die Ecke denken hat mir (und anderen) jedenfalls großen Spaß gemacht. Ich finde, so ein Notizbüchlein darf gern wieder beim nächsten Stammtisch-Stammtisch dabei sein! Du hast das Buch doch mitgenommen, oder? Was war da noch so drin?

L:
Jetzt probiere ich elegant, und vor allem intelligent, davon abzulenken, dass ich das Buch nicht mitgenommen oder abfotografiert habe 🙂 Oli und Martin haben das Buch aber wohlbeherzt an sich genommen und das ist doch ein schöner Aufhänger, sie bei den nächsten Typostammtischen wieder zu sehen.

Besonders gut kann ich mich an die Doppelseite mit den Tierbuchstaben erinnern, bei denen äußerst niedliche, aber auch bedrohlich-einschüchternde Wesen entstanden, die gleichzeitig als ausgereifte Initialbuchstabenideen herhalten könnten. Sinas M mit Augen fand ich sehr schön. Und ich habe nebenher mitbekommen, dass David sogar sein eigenes Blackbook mitgebracht hatte. Seiten über Seiten gefüllt mit Buchstaben, wow. Also ich bin dafür, dass wir die Idee mit dem Notizbuch zum Typostammtisch fortführen.

Was für ein schöner Rundgang! Ich hoffe, dass alle aus unserer Gruppe etwas für sich mitnehmen konnten. Auch, dass es neue Fragen angestoßen hat. Oder, dass es einfach die Spielfreude entfacht hat, durch Martins und Olis (Sprüh-) Fingerspitzengefühl in der Vermittlung straßenschriftlicher Inhalte. Nur noch zwei Dinge, die ich teilen möchte, da sie mich fasziniert haben: Erstens, dass die hohen Dosenpreise und die derzeitige Inflation mehr und mehr Graffitimenschen zum Umlenken auf Streichfarbe und Rolle bewegen. Und zweitens, dass es Writer gibt, die im Sommer mit der Gartenschere herumlaufen und den Büschen, die über ihre Bilder wachsen (und diese somit verdecken) einen Pony schneiden.

Danke an unsere Guides für die Insights und den schönen Spaziergang. Danke auch an unsere Gruppe und alle zum Biergartenstammtisch Dazugestoßenen: Toll, dass ihr da wart! Und Anja, haben wir noch etwas vergessen, oder magst du noch etwas hinzufügen?

Die (nicht ganz komplette) Gruppe, die Guides und der Prater
Auf einen gelungenen Type Walk!

A:
Du hast alles gesagt (hihi). Ich muss nur noch über die Formulierung „Fingerspitzengefühl in der Vermittlung straßenschriftlicher Inhalte“ lachen. Das wäre auch eine 1A-Überschrift für eine Verordnung oder sowas! Ich möchte noch eine Anekdote loswerden, die mir einer der beiden später im Prater erzählte: Er sagte, sich umschauend, dass er hier schon mal nachts gewesen sei. Er dachte damals allerdings, dies sei ein verwaistes Schwimmbad (wegen der Türme, die dort zur Bühnenbeleuchtung stehen). Schon lustig, diese Nicht-Orte in der Stadt – sogar belebte Biergärten können sich bei Nacht in solche verwandeln.

Hier noch mehr Fotos, die wir oben nicht untergebracht haben … Continue reading „Nachgespräch 96. Typostammtisch: Street Type Walk mit Oli und Martin“

25.08.2022: Street Type Walk & Biergarten

Wir laden euch, wie in jedem Jahr, herzlich zum Sommer-Schriftspaziergang ein! Dieses Mal beleuchten wir eine andere Seite der Stadt, und zwar die allgegenwärtigen bunten Buchstaben von der Straße: Graffiti. Denn Berlin ist immer noch die weltweite Hauptstadt des Graffiti und diese Subkultur inspiriert mehr denn je unsere Kultur.

Unsere Community, Lettering-Artists, Typografinnen und Schriftgestaltungsmenschen beziehen mehr und mehr Inspiration von der Straße. Wir möchten also in die Tiefe gehen und uns von Oliver Johannsen, Martin Gnadt und Crew erleuchten lassen, was eigentlich hinter diesen bunten Buchstaben steckt. Sie werden uns Wände zeigen, Geschichten und Techniken verraten und uns erklären, warum Graffiti und Schrift solch innige und wunderbare Beziehung pflegen.

Anschließend krönen wir den Abend, traditionsbewusst, mit Gesprächen und Kaltgetränken im schönen Prater-Biergarten.

Wann? Am Donnerstag, den 25. August um 18 Uhr, Schriftspaziergang ab 15 Uhr s.u.
Wo? Prater Biergarten, Kastanienallee 7–9, 10435 Berlin
U-Bahn: Linie U2 bis Eberswalder Straße
Tram: M1/M10/12 bis Eberswalder Straße

Kostenloser Schriftspaziergang ab 15 Uhr. Treffpunkt hierfür ist beim Mauerpark (vor dem Mauersegler, Bernauer Str. 63–64, 13355 Berlin). Die Guides freuen sich über einen freiwilligen Obolus.

Bis dahin, WIR FREUEN UNS AUF EUCH!
Euer Typostammtisch-Team


Der nächste TypeThursday findet am 11. August um 18:30 Uhr statt, diesmal bei LucasFonts und wie immer mit Vorträgen und anschließendem Pläuschchen. Oliver Johannsen führt uns nicht nur durch die Straßen Berlins, er organisiert auch das Hypergraphia Festival, das sich mit Graffiti und Schrift auseinandersetzt. Vom 12. bis 14. August wird es tolle Vorträge und Live-Action im Freiland am Potsdamer Hauptbahnhof geben. Das Syposium der Typografischen Gesellschaft Austria (tga) in Raabs findet vom 25. bis 28. August statt. Nicht nur das Programm wird toll sein, auch das Essen und die Location – auf jeden Fall ein Geheimtipp! Auf dem Weg nach Raabs bietet sich ein Zwischenstopp im Deutschen Museum in München an: Die neu eröffnete Dauerausstellung Bild Schrift Codes ist sicherlich sehenswert! Vom 17. bis 18. September gibt es im Prenzlauer Berg einen Lettering-Workshop, den ihr euch anschauen solltet: Sign Writing Weekend mit Liane Barker aus Australien, organisiert von Elena Albertoni (La Letteria). An dieser Stelle wollen wir auch noch einmal Florian Hardwig und Fritz Grögel erwähnen, die uns bisher mit ihren Schriftspaziergängen begeistert haben. Kudos und auf ein Neues!


Die Titelzeile ist in Myzel, der Abschlussschrift von Lukas Horn (also mir, dem Autor), gesetzt. Ich habe sie mehr aus Zeitgründen gewählt, als aus Eigennutz. Denn das ist mein erster Beitrag zum Typostammtisch (Juhu!). Die Schrift ist Teil meiner Abschlussarbeit vom TypeMedia-Studiengang. Das ist die milde Variante – es gibt auch eine wilde.

Das Titelbild habe ich ebenfalls beigesteuert beziehungsweise collagisiert (falls das ein Wort ist), da Oliver uns netterweise diesen Typostammtisch bereichert, aber zeitlich so eingebunden war, dass ich schnell Fotos von schönen Graffitis gemacht habe. Danke an die unbekannten KünstlerInnen, die ich hier miteinander verbunden habe (THE, Life, AMD, ZGM, Rozer, Toylets, RZK, 1UnitedPower usw.)!

Nachbericht 95. Typostammtisch: Lause Bleibt / Zhenya Spizhovyi — or: The power of communities

Da der Weg in den 3. Stock bis zum eigentlichen Typostammtisch bei diesen hochsommerlichen Temperaturen durchaus weit anmutet, gibt es für Besucher·innen einen Zwischenstopp im 1. Stock.

Dort ist eine leere Etage derzeit, sagen wir, zu Informationszwecken umgenutzt. Kurzer privater Spontanvortrag zur Historie der „Immobilienoper“ Lause10 (in der Lausitzer Straße 10, Kreuzberg, wo sich das Sonnenstudio befindet, hat die Mietgemeinschaft mit jahrelanger Hartnäckigkeit das Unwahrscheinliche geschafft und die 20-Mio Verkaufspläne des Eigentümers in eine 10-Mio von der Politik unterstütze genossenschaftliche Erbpacht umgemünzt – und kann, größtenteils, weiterhin zu erschwinglichen Konditionen hier leben und arbeiten).

Felix Link stellt die Historie der Lause10 kurz dar. Vielen Dank für diesen Einblick!
Can’t buy me Lause / Dehnen und Strecken für den Erbbauzins

Klingt kompliziert, war es auch. Wie genau, skizziert uns Designer und Lause10-Mieter Felix Link: Er erzählt vom Dehnen und Strecken vor dem Senat im Stil von 80er Jahre-Fitnessvideos; von der Kiezoper Lauratibor, vom Eisverkauf bei Demonstrationen und zeigt Plakate und Demo-Utensilien. Die Vielfalt der Demonstrationsmaßnahmen zeigt eindrücklich, dass das gesamte kreative Potential der Gemeinschaft auf dem Weg zur Genossenschaft eingeflossen ist. Überhaupt, Gemeinschaft:

[Szenenwechsel. Wir befinden uns zwei Stockwerke höher im Sonnenstudio und sprechen nun IN ENGLISH.]

Talking about community: Zhenya Spizhovyi introduces the Ukrainian type community. Still young, it had to grow after the collapse of the Soviet Union: “Our roots were destroyed so we had to create new roots”, puts it Zhenya to prosaic, yet impressive words. But let’s begin where everything begins and ends these days when touching the topic Ukraine: “There’s noone who is more tired of talking about the war than the Ukrainians. But we have no choice.” So of course, the war runs like a thread through Zhenya’s talk.

Elisabeth Moch, illustrator from Sonnenstudio, introduces Zhenya as a Ukrainian calligrapher, lettering artist, type designer and teacher from Kyiv. Together with his wife, he has been staying in Berlin for three months now, living in different flats, co-working at Sonnenstudio, being as optimistic as possible: “You know, we are humans. We can live in different conditions.”

Elisabeth Moch (l.) introduces Zhenya Spizhovyi to Sol Matas, Luc(as) de Groot, Daria Petrova and the other ca. 30 listeners.
Transliteration of Zhenya’s name: There’s no letter for the sound Ж in the Latin script (and, note to ourselves: No Cyrillic support in the otherwise lovely typeface Graublau Sans of esteemed regular Typostammtisch guest Georg Seifert). Photo: Luc(as) de Groot

In the first part of his presentation, Zhenya speaks about his own work. During his studies at the Kyiv State Institute of Decorative and Applied Art and Design named after Mykhailo Boychuk (KSIDAAD), the calligraphic work of professor Vasyl Chebanik was very inspiring for Zhenya. After graduating with the typeface Marko, he put font making on hold and continued to explore calligraphy. Or, as he puts it: “I just procrastinated and did calligraphy.” 

Sketches for Zhenya’s graduate project Marko, available at googlefonts.
“I just procrastinated and did calligraphy”.

Zhenya gives personal insights into the transitions between calligraphy, lettering, typography and type design. “My approach in calligraphy is quite typographical. I try to put order in calligraphy.” Feeling comfortable in smaller systems like letterings at the beginning of his career, he now feels the urge to explore greater systems – within the discipline of typeface design. Zhenya also provides the audience with the interesting perspective of transliterated logotypes, covers and lettering art work for clients such as Netflix. Mimicking the look-and-feel of the (mostly Latin-based) original, he learns a lot about lettershapes, the differences between Cyrillic and Latin (“Cyrillic is always more cursive”) and about cultural dynamics. He tends to be critical concerning the latter, questioning why even for new Cyrillic logotypes, briefings mostly contain Latin logotypes as inspiration. But luckily, according to him, this situation gradually changes. 

Research on logotype for ceramics manufacturer Maistrenko
Latin-based inspiration provided in a briefing for a Cyrillic-based logotype. The result can be seen above.
A cover artwork that Zhenya adapted from Latin to Cyrillic.

“I sometimes dislike the letterings I have to transliterate. I can’t choose. But it also teaches me a lot.” This kind of reflective and honest observation can be found in lots of Zhenya’s statements, that’s why this report works with numerous quotes. To be as honest as him: I think he found a fantastic way of presenting his own work. With well deserved self esteem, without being pretentious. Not necessarily aiming for the perfect but rather for the process, the development, the change.

Zhenya introduces the twins Vika and Vita Lopukhina, a Ukrainian designer duo
Selection of Vika and Vita’s artworks on Instagram raising attention against the war in Ukraine.

In the second part of his talk, Zhenya raises awareness for noteable Ukrainian designers by showing their work, especially their graphical involvement in the anti-war movement. Being asked about his thoughts on inner conflicts concerning the appropriateness of doing/posting art during a war, he again states “We have no choice.” And then he adds: “That’s our voice. I mean, an artist is our president.”

Here are the artists of the Ukrainian calligraphy, lettering and type design community, Zhenya mentions in his presentation:

Vika and Vita Lopukhina
Oleksiy Chekal
Kyrylo Tkachev
Dmytro Rastvortsev
Ivan Tsanko
Kateryna Korolevtseva
Maksym Kobezan
Zhenya recommends this Website on Ukrainian art communities.

Another question from the audience asks for Zhenya’s plans. He wants to find a flat in Berlin and then apply for TypeMedia to further learn about bigger systems. Dear Berlin type community: If anyone knows a detached place for 2 people, please contact Zhenya on Instagram or write us, we are happy to forward.

Dear Berlin type community, help is wanted! Thank you very much 💕 (Set in Marko One)

This report is to be closed with, of course, a quote: “Make love, not war. Follow me on Instagram … Don’t start a war at any time!”