Aufgrund der Vielzahl an interessanten Verlagen und Köpfen dahinter und weil das Feedback beim ersten Mal so gut war, findet an diesem warmen Frühsommerabend bei LucasFonts bereits der zweite Typostammtisch-Verlagsabend statt: Books, Books, Baby! Wir begrüßen, zunächst beim Essen im Garten und dann auf der Bühne, fünf Verlage aus Dresden, Leipzig und Berlin und möchten wissen: Wie treffen Verlagsmenschen typografische Entscheidungen? Welche Rolle spielt Schrift in der Gestaltung ihrer Bücher? Was haben sie sonst noch Spannendes zu erzählen?




Nach der Einleitung von Luc(as) de Groot und Sonja Knecht begrüßen wir als erstes auf der Bühne den Siesta Verlag aus Berlin, namentlich Carolina Giovagnoli und Franco Marcucci. Sie stellen uns den jüngsten der heute anwesenden Verlage vor. Siesta ist spezialisiert auf spanischsprachige Literatur, geschrieben von Migranten. Das Stichwort „Community“ stellen die beiden explizit heraus. Der Verlag sei ein kulturelles Projekt und das Buch eben das Objekt. „Wir wollen einen Verein um das Buch bauen“, sagt Franco. Und später auch: „Wir müssen uns unsere Leser bauen“, in Anlehung an den Prozess, ein solches Verlagskonzept in der Community zu verankern. Wichtig hierfür seien Interaktionen zwischen Buch und Leser·innen: „Es sind nicht nur Wörter oder Buchstaben, sondern es geht um Erfahrungen mit dem Buch.“ Belege für dieses Verlagsverständnis ist das Organisieren eines Literatur-Festivals oder ein Workshop, bei dem Autor·innen ihre Bücher selbst binden.
Im Kopf geblieben: typografische Wortspiele wie B/ANANAS oder fr/essen und der Gedanke, dass ein Verlag mehr sein kann als ein Verlag.


Es folgt, Kontrastprogramm, Tom Lamberty vom Merve Verlag aus Leipzig. Merve wurde 1970 gegründet und ist seit jeher auf politische Literatur spezialisiert. Tom bezeichnet sich selbst als „Opa“ und schiebt hinterher: „Ich bin der Schlimmste zum Einladen, wenn’s um Typo geht. Ich habe keine Ahnung.“ Dafür kann er in einem reichen Archiv stöbern und bringt uns Exemplare mit, „die ich selbst vergessen habe“. Wir vollziehen gemeinsam am Overhead-Projektor nach, wie sich die am Buchrücken gespiegelte Raute als zentrales grafisches Motiv des Verlags entwickelte und wie der Grafiker Jochen Stankowski denkt und mit Schrift arbeitet (es fällt der Begriff „Spielwiese“). Außerdem kommen kollektive Entscheidungswege und radikal transparentes wirtschaftliches Handeln im Verlag zur Sprache.
Im Kopf geblieben: Ein Cover, das den Titel erst durch Abrubbeln offenbart – „Der Buchhandel hasst uns dafür!“ Und: „Von dem Verlag kann man nicht leben. So war es auch nicht gedacht.“


Wechsel auf der Bühne, wir bleiben in Leipzig und begrüßen Marcel Raabe und Anne Hofmann vom 2014 gegründeten Verlag Trottoir Noir. Der Name, so Marcel gleich vorweg, war eine Schnapsidee, die Assoziationen vom letzten Gast an der Theke weckt. Das übergeordnete inhaltliche Thema des Verlags sind Aufzeichnungssysteme, ansonsten sind die Formate und Stoffe sehr unterschiedlich: Romane, Dokumentarisches, Lyrik, … Als gemeinsamer formaler Nenner wirkt das Format der Bücher, das in eine Hosentasche passen und den Druckbogen effektiv ausnutzen soll (was wir heute Abend öfter hören, die Kosten …). Die Gestaltung ist jeweils individuell passend zu den Inhalten und generell sehr gelungen; Anne Hofmann betont dabei auch politische Hinter- und Beweggründe.
Im Kopf geblieben: Die Idee, eine Dokumentation von Arbeitsbedingungen im Krankenhaus mit einem abwischbarem Umschlag zu versehen – und die sehr bedachte, aber auch wahnsinnig offene und regional verankerte Auswahl der Stoffe.


Als nächstes begrüßen wir Voland & Quist aus Dresden, 2004 gegründet und vorgestellt von Lea Kubeneck, verantwortlich für Marketing und Kommunikation. Wir sehen den Roman „Lebensversicherung“ von Katrin Bach unter dem Projektor. Eigentlich sollte die Autorin dabei sein, war aber kurzfristig verhindert. Also hilft Sonja gern beim Mikrohalten. Im vorgestellten Buch geht es um die Angst vor allzeit drohenden Gefahren und potentiellen Risiken, der Text ist blau (Versicherungsfarbe!) auf weiß. Im Austausch mit dem Publikum kommt die Sprache u. a. auf das Schoolbook-a und den Unterschied zwischen Icons und Piktogrammen. Interessant auch die Frage, wie der Verlag Grafikbüros für die Gestaltung der Bücher auswählt: Neue Autor·innen sollen auf der Webseite schauen, welche Richtung ihnen gefällt. Dann wird gezielt angesprochen.
Im Kopf geblieben: „Weil ich weiß, dass Zeit Geld, aber Geld eben doch keine Zeit ist“, Zitat aus „Lebensversicherung“. Und das schöne Verlagslogo (oben links im Bild), das zwar „nur“ aus Initialien besteht, aber doch lebendig wie ein Maskottchen wirkt.


Zum Abschluss beehren uns Jörg Sundermeier und Kristine Listau vom Verbrecher Verlag. „Wir wollten kein Verlag sein, deshalb der komische Name“, sagt Jörg. Für die Gestaltung der Bücher hätten sie ein „Einheitskleid“ gesucht, eine „Uniform“, und wurden bei der Folio Bold Condensed für die schlichten, aber wirkungsvollen Titel und bei der EB Garamond mit gekapptem Q für die Texte fündig. Später kommt der Einwand: „Vielleicht sind wir auch zu faul und verkaufen es als Einheitsgedanken“. Außerdem thematisieren sie ihren Umgang mit dem Versal-Eszett und die besondere, kantenumlaufende Darstellung des Barcodes auf den Verbrecherei-Büchern.
Im Kopf geblieben: Eine ISBN muss in einer bestimmten Größe gesetzt sein, um den Anforderungen zu entsprechen. Also: Make the ISBN bigger!
Das Publikum hat ganz unterschiedliche Herangehensweisen an Inhalt und Gestaltung gehört: programmatische, individuelle, pragmatische, politische, spielerische und hintergründige. Es ist spannend, den gedanklichen Kreis größer zu ziehen und das Thema Schrift aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Dafür müssen nicht alle Schrift-Profis sein – und so ist es bereichernd, mit Wort-Profis, Denk-Profis und Buchmarkt-Profis zusammenzukommen. Der Austausch zwischen Typomenschen und Verlagsmenschen erweist sich für alle Seiten als interessant und anregend. So sitzen wir noch lange zusammen – und es wird nicht unser letzter Verlagsabend gewesen sein.
In diesem Sinne: Kauft Bücher und lest sie auch!



