Nachbericht 111. Typostammtisch: A Tribute to FontShop

Alle Schwarz-Weiß Fotos: Norman Posselt

Der Typostammtisch lädt zur FontShop-Retrospektive. In der vollbesetzten Udk-Aula breitet der heutige Talkmaster Jürgen Siebert die Geschichte des FontShops vor dem aufmerksam lauschenden Publikum aus – in a Nutshell sozusagen. Mit auf dem Podium: Ivo Gabrowitsch, Erik Spiekermann und Petra Weitz, die vom Talkmaster mit Stichworten versorgt werden und viele interessante, nachdenkliche und vergnügliche Anekdoten beizutragen wissen.

FontShop wurde 1989 in bewegten Zeiten gegründet. Und wer reißt da die Mauer ein?
Foto: Norman Posselt
Zunächst war FontShop ein einzelner Schreibtisch neben dem MetaDesign-Büro in der Motzstraße. Ende 1989 bezog das das Team dann ein Büro im einzigen Haus auf weiter Flur: Hier im Bild der erste Firmensitz auf dem damals beinahe unbebauten Potsdamer Platz. An die Zeit in der Motzstraße erinnert sich Petra:


„Da saßen wir nun in diesem kleinen Kabuff und haben darauf gewartet, dass jemand anruft und eine Schrift bestellt.“ 

Petra Weitz
Vom Mailorderversand mit Fonts auf Disketten zu einem der ersten Anbieter für Webfonts.


„Eigentlich haben alle im Versand angefangen.“ 

Petra Weitz

FontShop war der erste maßgeblich von den Designern geführte und gelenkte Schriftenvertrieb. Das Geschäftsgeheimnis? Laut Jürgen Siebert die Anpassung der jeweils neuen Technologien, immer in enger Zusammenarbeit mit den Schriftgestalterinnen und Schriftgestaltern.

Experimente, wie z.B. die Random-Fonts Beowolf (von Erik van Blockland und Just van Rossum, 1990) gehörten dabei genauso zum Leistungsspektrum …
… wie die exzessive Zweckentfremdung von OpenType-Features in der Diagrammschrift Chartwell (von Travis Kochel, 2012), um nur zwei innovative Beispiele aufzuzeigen.
Faxkommunikation zwischen Just van Rossum und Erik Spiekerchef. War damals so, das mit den Faxen.
Das Fontshop-Logo konnte aus verschiedenen Schriften bestehen und basierte auf aneinandergereihten Quadraten.


„Heute würde man dafür Design Thinking machen und zwei Tage aufs Land fahren.“ 

Erik Spiekermann
Das originale FontShop-Logo von Neville Brody (schwarz/rot) entwickelte sich zur allseits bekannten Farbkombination schwarz/gelb.
Doch, ein Chart weiter: Zwei F ineinander zu verschachteln, auf diese Logoidee kamen offenbar auch andere Unternehmen …
Welche Entwürfe wurden zu FontShop-Schriften? Darüber zu entscheiden, war Aufgabe des Type Boards. In wechselnder Besetzung wurden in dieser Runde regelmäßig Einreichungen begutachtet und das Programm kuratiert.

Zum Schriftenrepertoire haben die Podiumsgäste dabei durchaus unterschiedliche Erinnerungen:

Jürgen: „Das war minutiös geplant durch das TypeBoard.“
Darauf Erik: „Ich habe in meinem Leben noch nichts minutiös geplant.“

Auch Ivo plaudert aus dem Nähkästchen, zum Beispiel über Naming-Prozesse:


„Ich war kein großer Fan des Namens ‚FF Mark‘. Im Nachhinein ist es gut, dass die Schrift so heißt. Die Bedeutung ‚Trademark‘ bzw. ‚Marke‘ hatten wir nur beiläufig mitgedacht.“ 

Ivo Gabrowitsch
Der bereits erwähnte Neville Brody war Initiator des Magazins Fuse. Daraus entwickelte sich …
… die Fuse-Konferenz, ein internationales Zusammentreffen zur Typographie. Aus der Fuse wurde schließlich die Typo Berlin, zeitweise die größte Designkonferenz Europas.

Beim Q&A gibt es Aufklärung zu den verschachtelten und dramatischen Geschehnissen rund um den Verkauf. Ein Hauch von Kollektivaufarbeitung, 10 Jahre danach, mit durchaus emotionalen aber auch gereift-grasüberwachsen-milden Aussagen von Publikum und Podium. Oder wie Petra es formuliert:


„Entweder ihr glaubt es jetzt – oder nicht!“ 

Petra Weitz

Schwenk aufs Publikum mit einigen Diskussionsstreiflichtern: Die FontShop-DNA lebt in den vielen kleinen und größeren Vertriebsmodellen weiter. Das Verblassen von etwas Großem schafft Raum für viele Kleine, die ihrerseits wachsen können – und Fehler machen. Um Transparenz geht es auch: Die FontShop-Zeit (aber auch das letztliche Ende) als Beispiel für Unternehmertum, das nie welches sein wollte – aber die Rolle lernen musste. Zur Sprache kommen Naivität und Realität, geerntete Früchte und gekaufte Juwelen.

Deutlich wird an diesem Abend: FontShop war nicht nur durch die Schriften prägend für die Zeit. Es waren auch (und vor allem) die beteiligten Menschen, die im FontShop selbst oder in dessen Umfeld tätig waren, die das Unternehmen zu einem besonderen gemacht haben. Viele von ihnen sind an diesem Abend anwesend.

Einen ganz herzlichen Dank an:

unsere Podiumsrunde, namentlich Petra Weitz, Jürgen Siebert, Erik Spiekermann und Ivo Gabrowitsch, für eine toll vorbereitete Zeitreise und eure Offenheit. Danke an die Udk, dass wir die Aula nutzen durften und an Lucas de Groot, der seine bestens archivierte FontShop-Drucksachen-Sammlung zur Ansicht mitgebracht hat. Außerdem ein großes Dankeschön an Norman Posselt, der viele bekannte Gesichter und die Stimmung an diesem Abend so wunderbar eingefangen hat. Seine Bilder möchten wir euch nicht vorenthalten (und ihr könnt alle bei Flickr anschauen):