Jedes Jahr bietet der Berliner Typostammtisch einen Type Walk an. Die schriftkundigen Tourguides, ihr jeweiliger Fokus und das durchstreifte Stadtviertel sind dabei ganz unterschiedlich. Nach dem Schriftspaziergang lassen wir den Abend in einem Biergarten gemeinsam ausklingen. Hier sind alle willkommen, unabhängig von der Spaziergangsteilnahme.
Dieses Jahr wird es am 18. September statt eines Type Walks gleich drei Touren parallel geben! Wählt aus, an welcher ihr teilnehmen wollt und meldet euch schnell dafür an (sofern angegeben), denn die Plätze sind begrenzt:
Type Walk 1: U8 with Jesse Simon (in English) Discover (typo)graphic highlights of the city, above and below ground. Jesse Simon is dedicated to photographically documenting urban typography and gives us insights into his background knowledge – this time along the U8 line. • Fee 10 €, Registration required • Start: 3 p.m. Meeting point will be announced a few days before the tour via e-mail.
Type Walk 2: Graffiti mit Corner Girlz Den Graffiti-Hotspot Mauerpark und seine fußläufige Umgebung könnt ihr bei diesem Type Walk (neu) entdecken. Diesmal zeigen uns Hanna von der Flinta*-Graffiticrew „Corner Girlz“ und Tanja, eine weitere Writerin, ihre Sichtweisen auf die Stadt und geben spannende Einblicke in die Szene. • freiwillige Spende zwischen 0 und 10€, keine Anmeldung erforderlich • Start: 16 Uhr. Treffpunkt vor dem Mauersegler (Mauerpark), Bernauer Str. 63–64, 13355 Berlin
Type Walk 3: Wedding mit Florian Hardwig und Fritz Grögel Der Klassiker-Schriftspaziergang mit Fritz und Florian – zum zweiten Mal mit einer Route durch den Wedding. Freut euch auf eine Mischung aus Schildern, Inschriften, Letterings und Urban Art. Fundierte und unterhaltsame Schriftgeschichte(n) to go. • Preis 20 € / ermäßigt 10€, Anmeldung erforderlich • Start: 15 Uhr. Der Treffpunkt wird wenige Tage vor Tour per Mail bekanntgegeben.
Hinweis: Holy Zugriffsrechte! Falls ihr direkt nach dem Erhalt der Einladung teilnehmen wolltet, aber es nicht ging: Im Formular war eine Einstellung falsch. Jetzt könnt ihr euch anmelden.
After Type Walk: Nach den Touren treffen alle Gruppen im Pratergarten zusammen. Und auch wenn ihr nicht an einem der Spaziergänge teilnehmen könnt, freuen wir uns auf euch zu Limo, Bier und Gesprächen unter Kastanien!
Wann? Am Donnerstag, den 18. September um 19 Uhr. Keine Anmeldung erforderlich. Wo? Prater Biergarten, Kastanienallee 7–9, 10435 Berlin
Euer Typostammtisch
Die Berlin Art Week findet vom 10. bis 14. September mit vielen Veranstaltungen in verschiedenen Locations statt. Vom 12. bis 14. September steigt das Hypergraphia Festival rund um die Themen Graffiti & Urban Art auf dem Gelände von FreiLAND in Potsdam. Vom 20. bis 21. September hat Sophia Melone von den Corner Girlz eine Soloausstellung im Katzengraben. Sonst nicht ausgestellte mongolische Dokumente könnt ihr bei der Veranstaltung 100 Jahre Textgeschichte der Verfassungen der Mongolei am 1. Oktober in der StaBi bestaunen. Ein allerletzter Besuch: Nur noch bis zum 5. Oktober hat das Buchstabenmuseum geöffnet! Die Arbeiten des Grafikdesign-Studios Cyan sind noch bis zum 17. Oktober im Rahmen einer Ausstellung im CVA Berlin zu besichtigen. Das online stattfindende Inscript Festival zu experimenteller Typografie geht 2025 vom 15. bis 19. Oktober bereits in die vierte Runde. Neu ist die Online-Konferenz zum Thema Fonts & AI, veranstaltet von I Love Typography am 23. und 24. Oktober (bis einschließlich 5. September könnt ihr dort eure Vortragsidee einreichen).
Das obere Bild der Titel-Collage zeigt den FLINTA* GRAFFITI JAM (Bild von tanone1). Mitte: Wedding-Type Walk 2024 mit Fritz und Florian (Bild von Anja Meiners). Das Bild vom U-Bahnhof Pankstraße stammt von Jesse Simon.
Aufgrund der Vielzahl an interessanten Verlagen und Köpfen dahinter und weil das Feedback beim ersten Mal so gut war, findet an diesem warmen Frühsommerabend bei LucasFonts bereits der zweite Typostammtisch-Verlagsabend statt: Books, Books, Baby! Wir begrüßen, zunächst beim Essen im Garten und dann auf der Bühne, fünf Verlage aus Dresden, Leipzig und Berlin und möchten wissen: Wie treffen Verlagsmenschen typografische Entscheidungen? Welche Rolle spielt Schrift in der Gestaltung ihrer Bücher? Was haben sie sonst noch Spannendes zu erzählen?
Alle Fotos von Olga Luchanok. Herzlichen Dank, Olga!Moderation: Sonja KnechtFranco Marcucci und Carolina Giovagnoli vom Siesta-Verlag
Nach der Einleitung von Luc(as) de Groot und Sonja Knecht begrüßen wir als erstes auf der Bühne den Siesta Verlag aus Berlin, namentlich Carolina Giovagnoli und Franco Marcucci. Sie stellen uns den jüngsten der heute anwesenden Verlage vor. Siesta ist spezialisiert auf spanischsprachige Literatur, geschrieben von Migranten. Das Stichwort „Community“ stellen die beiden explizit heraus. Der Verlag sei ein kulturelles Projekt und das Buch eben das Objekt. „Wir wollen einen Verein um das Buch bauen“, sagt Franco. Und später auch: „Wir müssen uns unsere Leser bauen“, in Anlehung an den Prozess, ein solches Verlagskonzept in der Community zu verankern. Wichtig hierfür seien Interaktionen zwischen Buch und Leser·innen: „Es sind nicht nur Wörter oder Buchstaben, sondern es geht um Erfahrungen mit dem Buch.“ Belege für dieses Verlagsverständnis ist das Organisieren eines Literatur-Festivals oder ein Workshop, bei dem Autor·innen ihre Bücher selbst binden.
Im Kopf geblieben: typografische Wortspiele wie B/ANANAS oder fr/essen und der Gedanke, dass ein Verlag mehr sein kann als ein Verlag.
Tom Lamberty, Leiter des Merve Verlags
Es folgt, Kontrastprogramm, Tom Lamberty vom Merve Verlag aus Leipzig. Merve wurde 1970 gegründet und ist seit jeher auf politische Literatur spezialisiert. Tom bezeichnet sich selbst als „Opa“ und schiebt hinterher: „Ich bin der Schlimmste zum Einladen, wenn’s um Typo geht. Ich habe keine Ahnung.“ Dafür kann er in einem reichen Archiv stöbern und bringt uns Exemplare mit, „die ich selbst vergessen habe“. Wir vollziehen gemeinsam am Overhead-Projektor nach, wie sich die am Buchrücken gespiegelte Raute als zentrales grafisches Motiv des Verlags entwickelte und wie der Grafiker Jochen Stankowski denkt und mit Schrift arbeitet (es fällt der Begriff „Spielwiese“). Außerdem kommen kollektive Entscheidungswege und radikal transparentes wirtschaftliches Handeln im Verlag zur Sprache.
Im Kopf geblieben: Ein Cover, das den Titel erst durch Abrubbeln offenbart – „Der Buchhandel hasst uns dafür!“ Und: „Von dem Verlag kann man nicht leben. So war es auch nicht gedacht.“
Gestalterin Anne Hofmann und Verleger Marcel Raabe von Trottoir Noir
Wechsel auf der Bühne, wir bleiben in Leipzig und begrüßen Marcel Raabe und Anne Hofmann vom 2014 gegründeten Verlag Trottoir Noir. Der Name, so Marcel gleich vorweg, war eine Schnapsidee, die Assoziationen vom letzten Gast an der Theke weckt. Das übergeordnete inhaltliche Thema des Verlags sind Aufzeichnungssysteme, ansonsten sind die Formate und Stoffe sehr unterschiedlich: Romane, Dokumentarisches, Lyrik, … Als gemeinsamer formaler Nenner wirkt das Format der Bücher, das in eine Hosentasche passen und den Druckbogen effektiv ausnutzen soll (was wir heute Abend öfter hören, die Kosten …). Die Gestaltung ist jeweils individuell passend zu den Inhalten und generell sehr gelungen; Anne Hofmann betont dabei auch politische Hinter- und Beweggründe.
Im Kopf geblieben: Die Idee, eine Dokumentation von Arbeitsbedingungen im Krankenhaus mit einem abwischbarem Umschlag zu versehen – und die sehr bedachte, aber auch wahnsinnig offene und regional verankerte Auswahl der Stoffe.
Team Voland & Quist: Theresa Meschede, Leif Greinus, Lea Kubeneck
Als nächstes begrüßen wir Voland & Quist aus Dresden, 2004 gegründet und vorgestellt von Lea Kubeneck, verantwortlich für Marketing und Kommunikation. Wir sehen den Roman „Lebensversicherung“ von Katrin Bach unter dem Projektor. Eigentlich sollte die Autorin dabei sein, war aber kurzfristig verhindert. Also hilft Sonja gern beim Mikrohalten. Im vorgestellten Buch geht es um die Angst vor allzeit drohenden Gefahren und potentiellen Risiken, der Text ist blau (Versicherungsfarbe!) auf weiß. Im Austausch mit dem Publikum kommt die Sprache u. a. auf das Schoolbook-a und den Unterschied zwischen Icons und Piktogrammen. Interessant auch die Frage, wie der Verlag Grafikbüros für die Gestaltung der Bücher auswählt: Neue Autor·innen sollen auf der Webseite schauen, welche Richtung ihnen gefällt. Dann wird gezielt angesprochen.
Im Kopf geblieben: „Weil ich weiß, dass Zeit Geld, aber Geld eben doch keine Zeit ist“, Zitat aus „Lebensversicherung“. Und das schöne Verlagslogo (oben links im Bild), das zwar „nur“ aus Initialien besteht, aber doch lebendig wie ein Maskottchen wirkt.
Kristine Listau und Jörg Sundermeier vom Verbrecher-Verlag
Zum Abschluss beehren uns Jörg Sundermeier und Kristine Listau vom Verbrecher Verlag. „Wir wollten kein Verlag sein, deshalb der komische Name“, sagt Jörg. Für die Gestaltung der Bücher hätten sie ein „Einheitskleid“ gesucht, eine „Uniform“, und wurden bei der Folio Bold Condensed für die schlichten, aber wirkungsvollen Titel und bei der EB Garamond mit gekapptem Q für die Texte fündig. Später kommt der Einwand: „Vielleicht sind wir auch zu faul und verkaufen es als Einheitsgedanken“. Außerdem thematisieren sie ihren Umgang mit dem Versal-Eszett und die besondere, kantenumlaufende Darstellung des Barcodes auf den Verbrecherei-Büchern.
Im Kopf geblieben: Eine ISBN muss in einer bestimmten Größe gesetzt sein, um den Anforderungen zu entsprechen. Also: Make the ISBN bigger!
Das Publikum hat ganz unterschiedliche Herangehensweisen an Inhalt und Gestaltung gehört: programmatische, individuelle, pragmatische, politische, spielerische und hintergründige. Es ist spannend, den gedanklichen Kreis größer zu ziehen und das Thema Schrift aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Dafür müssen nicht alle Schrift-Profis sein – und so ist es bereichernd, mit Wort-Profis, Denk-Profis und Buchmarkt-Profis zusammenzukommen. Der Austausch zwischen Typomenschen und Verlagsmenschen erweist sich für alle Seiten als interessant und anregend. So sitzen wir noch lange zusammen – und es wird nicht unser letzter Verlagsabend gewesen sein.
Books, Books, Baby! Zum zweiten Mal laden wir Verlage ein, über Schriftanwendung zu berichten. Von den Inhaberinnen, Herausgebern, Autorinnen und/oder Gestaltern illustrer, eigenwilliger, unabhängiger Literaturverlage wollen wir wissen: Wie finden sie ihre bevorzugten Fonts? Wie treffen sie typografische Entscheidungen?
Dafür bringen sie beispielhaft Bücher mit, legen diese unter den Overhead-Projektor, blättern mit uns durch die Seiten – und stellen sich dem Gespräch. Wir freuen uns sehr auf die persönlichen Begegnungen mit und Einblicke in die Arbeit von: Merve, Siesta Verlag, Trottoir Noir, Verbrecher Verlag und Voland & Quist.
Wann? Donnerstag, 12. Juni 2025, 19 Uhr Wo? Eisenacher Straße 56, im Studio von LucasFonts, 2. Hinterhof, 10823 Berlin-Schöneberg
Bis dahin, euer Typostammtisch-Team
Typostammtische verpasst? Wer wissen möchte, wie es beim ersten Verlagsabend, bei unserem letzten Type Crit oder neulich beim Typostammtisch-Ausflug nach Potsdam zuging, wie wir das große Eszett gefeiert und welchen Stadtteil wir beim Schriftspaziergang 2024 in den Blick genommen haben, schaut in unser liebevoll gepflegtes Archiv.
Weiteres im Buchkontext – Juni ist Büchermonat in Berlin! Am 3. Juni geht’s Indie Stabi mit den Verlagen Orlanda und InterKontinental, am 19. Juni ebenfalls in die Stabi zur Ästhetik und Signifikanz des Buchumschlags. Selbermachen am Wochenende: 14./15. Juni im Letterpress-Workshop und 27./28. Juni im Lithografie-Workshop mit Stefan Tielscher, bbk berlin im Bethanien. Ebendort bietet die Buchkünstlerin Marianne Nagel aus Leipzig am 21./22. JuniFortgeschrittenes Buchbinden für Künstler·innen, wärmste Empfehlung (die Autorin dieser Zeilen hat einen Workshop bei ihr mitgemacht). Am 17. Juni soll Molecular Typography (Details dort erfragen) an der UdK Berlin vorgestellt werden. Auch diverse Festivals locken: 13.–15. JuniMiss Read im HKW, 15. JuniLyrikmarkt im Rahmen des Poesiefestivals an der Akademie der Künste, Hanseatenweg, dann das Berliner Bücherfest am Bebelplatz am 28./29. Juni mit über 100 Verlagen. Ausblick Juli: Als jährliche Sommer-Highlights der Literaturszene Berlins sind Kleine Verlage am Großen Wannsee, 5. Juli beim LCB, und die Brotfabrik-Sommerfest-Jubiläumssause steigt am 20. Juli in Weißensee. Print’s not dead.
Die Titelzeile ist in der Marjoree Mono von Bernd Volmer gesetzt, frisch ausgezeichnet mit dem TDC Certificate und erschienen bei Show Me Fonts. Das Bücherregalbild ist von Sonja Knecht; darin die Marjoree Proportional.
Neue Aufkleber von Samira Rehmert und Lukas Horn 🔥
Der Frühling trägt die Leute raus – sei es nach Kopenhagen, wo sich viele aus der Typostammtischcommunity von der zeitgleich stattfindenden ATypI inspirieren lassen – oder, nur ein paar S-Bahnstationen entfernt, nach Potsdam, wo es nicht minder spannende Schriftinhalte zu sehen und zu hören gibt. Auch viele Potsdamer·innen nutzen das nahe Gastspiel; glücklich, dass der Weg für sie ausnahmsweise mal kürzer ist.
Der Typostammtisch ist zu Gast am Fachbereich Design der FH Potsdam. Dort wird an diesem Abend die Ausstellung Further Reading eröffnet, die Studierende unter der Leitung von Prof. Christina Poth und Prof. Susanne Stahl konzipiert haben. Dazu später mehr. Zunächst einmal ganz herzlichen Dank, dass wir kommen durften!
Aufbau der AusstellungAnkommen des Publikums
Als Einstieg in die Tandem-Veranstaltung gibt es einen Typostammtisch-Vortrag von bekannten Gesichtern: Oliver Johannsen und Martin Gnadt. Die beiden haben schon einmal einen tollen Graffiti-Spaziergang rund um den Mauerpark für den Typostammtisch organisiert. Oli präsentierte außerdem gemeinsam mit Reinhard Deutschmann in unserem Bücherkurzvorstellungsformat das Magazin „Hypergraphie“.
Heute treten Martin und Oli als Teil eines Potsdamer Kollektivs auf: Seit 2020 organisieren sie das Hypergraphia-Festival auf dem Freiland-Gelände in der Nähe des Hauptbahnhofs. Und ja, richtig vermutet, das hängt mit dem erwähnten Magazin zusammen.
Oliver Johannsen und Martin Gnadt
Die beiden stellen sich vor (FH Potsdam-Absolvent Oli, Dozent-Student Martin) und stellen auch gleich klar, dass „Hypergraphia“ nicht Englisch, sondern Deutsch [hyːpɐˈɡʁafia] ausgesprochen wird. Sorry, offensichtlich sind wir seit Scooter so sehr an die englische Aussprache von „Hyper (Hyper)“ gewöhnt. Nächste Korrektur: Es geht nicht um Street-Art, sondern um Urban-Art – ein umfassenderer, wertschätzenderer Begriff, den wir gern ab sofort benutzen. Außerdem erfahren wir, was es mit dem Namen des Festivals auf sich hat. Dieser leitet sich nämlich von „Hypergrafie“ ab, einem manischen Schreibzwang. Zunächst gab es das gleichnamige Magazin, aus dem ein Schriftprojekt entstand, und im Folgenden ein ganzes Festival – Hypergraphia, das diverseste Graffiti-Festival Europas!
Die Schrift als Klammer verschiedener Unternehmungen
Martin und Oli geben einen Überblick, was sich seit ihrem Einstieg 2020 in Sachen Hypergraphia-Festival getan hat. Wir sehen Fotos aus den vergangenen Jahren, die sofort Lust auf Sommer und Schreiben machen. Außerdem erfahren wir etwas über das Freiland-Gelände, das dank unterschriebenem Erbpachtrechtvertrag für die nächsten 66 Jahre sicher betrieben werden kann. Keine schlechte Grundlage in diesen Zeiten!
Die beiden nehmen uns mit in die Entstehung der jährlich wechselnden Corporate Designs des Festivals. Alle arbeiten mit der selben Schrift, einer schablonierte Interpretation der DIN 1451 (einst Normschrift für Verkehr und Logistik) in unterschiedlichsten Facetten, Defragmentierungen und gestalterischen Schwerpunkten. Außerdem erfahren wir von Battle-Disziplinen (Taggen, Throw Up, Bierkasten, 2m Abstand zur Wand, so hässlich wie möglich, malen per Overhead-Projektor-Projektion auf Häuserwände), der Broken-Windows-Theorie (kritisch zu betrachten!) und der Buchempfehlung Calligrafitti von Nils „Shoe“ Meulmann.
Nachdem das Festival und die Organisator·innen 2024 pausierten, geht es 2025 mit neuem Team vom 12. – 14.09.2025 auf dem Potsdamer Freiland-Gelände weiter (Updates am besten hier). Leidenschaftlich rufen Martin und Olli dazu auf, das Event zu unterstützen, sei es mit Geld- oder Sachspenden (Siebdruck-, Schalungsplatten oder anderes geeignetes Material), oder personeller Unterstützung (Licht, Musik, Planung). Ein großer Fokus wird dieses Jahr darauf liegen, noch mehr FLINTA*-Personen eine Bühne zu geben. Unterstützung und Teilnahme wärmstens zu empfehlen!
Für den zweiten Teil des Abends verlassen wir das Fotostudio – Getränke sind dort schließlich verboten – und hören gespannt den Professorinnen Christina Poth und Susanne Stahl im Foyer zu: Sie stellen die Ergebnisse des Hauptprojekts Further Reading vor. Es geht um Sprache als mächtiges Tool zur Inklusion, um die Grenzen zwischen Leserlichkeit und Unleserlichkeit, um einfache und gendergerechte Sprache. Die Ergebnisse, die wir anschließend in der Ausstellung besichtigen können, erkunden das Thema auf sehr breite Art und Weise und laden durch verschiedene Perspektiven ein, sich mit in- und exkludierenden Elementen von Texten auseinanderzusetzen.
Prof. Susanne Stahl und Prof. Christina Poth eröffnen die AusstellungFotos: FHP / Hanna Hauten
Die Ausstellung ist noch zu sehen bis zum 09.05.2025. Die zweite Potsdam-Empfehlung dieses Nachberichts!
Einfach mal raus, den Kopf lüften, sei es in Berlin, Potsdam oder Kopenhagen. Einen schönen Frühling wünschen wir.
Books, Books, Baby! Der erste Verlagsabend in der an tollen Abenden nicht eben armen Geschichte des Typostammtischs Berlin war besonders beglückend. Im Vorfeld hatten wir Kontakt zu einigen Independent-Verlagen, vornehmlich Literaturverlagen, und vorrangig ansässig in Berlin. Nun durften wir namhafte Verleger·innen und eine Künstlerin-Grafikdesignerin live begrüßen: Am Hightech-Overhead-Projektor bzw. unserer Überkopf-Kamera blätterten sie sich und ihre Bücher auf (Grüße aus der Wortspielhölle). Dieserart bekamen wir fundiert Einblick in ihre typo-/grafische Arbeit, naturgemäß immer verbunden mit dem Inhalt. Form follows Content, denn die UX von Büchern ist Lesen. Anschauen und anfassen natürlich auch. Oft kamen die Gesamtmaterialitäten ins Spiel. Aber der Reihe nach.
Bei Käsewürfeln und Kürbissuppe vorab – ihr wisst, „Speaker·innen·dinner“ wird bei uns groß und immer mal wieder anders geschrieben – wurden wir warm miteinander. Im Gespräch kommen wir auf Lyrik-Wrestling, Schachboxen und die Surfpoeten. Büchertisch belegen, Porträtfotos machen, und los. Der Saal füllt sich.
In Abwesenheit: Trottoir Noir und Ritter Verlag
Moderatorin Sonja Knecht macht selbst den Auftakt, denn Marcel Raabe von Trottoir Noir, Leipzig, in Personalunion Verleger und Autor, liest zeitgleich in Erfurt. Er hatte vorab Bücher und Verlagsmaterial geschickt – ebenso wie Franziska Füchsl, Gestalterin des bei ihm 2021 erschienenen, von Clemens Böckmann herausgegebenen Gedichtbandes Alvaro Maderholz, Springer_Innen („ein kleines Juwel abseits des Bekannten“, so ein Rezensent der FAZ; hier geht es zur Rezensionsnotiz beim Perlentaucher). Vorab kam Franziska Füchsl zum Kennenlernen, dann wurde sie krank – hatte uns aber als persönliche Gastgabe, denn auch sie ist Autorin, ihr Buch Tagwan mitgebracht. Es erschien im Ritter Verlag, Klagenfurt 2020. Hier eine Rezension in der NZZ.
Damit all diese Liebevolligkeit nicht verpufft, stellt Sonja die beiden Bücher dennoch vor, oder anders: schwärmt hemmungslos für die Inhalte und überhaupt für die Tatsache ihrer Herausgabe (vom Maderholz-Bändchen) sowie für den sprachlichen Formwillen, ergo Gesamtgestaltung (Tagwan von Füchsl). Bei Springer_Innen geht es um die Poesie des Skispringens, von einem, der selbst Skispringer war. Der Band ist garniert mit der berührenden Geschichte von Eddie the Eagle, einer ebenso solitären Gestalt wie Autor Alvaro Maderholz; das Vorsatzpapier mit Zeichnungen einer DDR-Briefmarken-Sonderedition zum Skispringen. Sieht toll aus. „Sieht komisch aus mit der Hand. Vor allem, wenn sie so zittert“, kommentiert Sonja den Bildausschnitt der Überkopf-Kamera, die Buch und Hand an die Wand projiziert. Die Aufregung. Schaut euch den schönen Band und überhaupt das Programm von Marcel Raabe, Trottoir Noir an; er operiert unter dem schönen Stichwort Aufzeichnungssysteme.
Für den kompakten, schlicht in Grau gepackten Gedichtband nutzt Gestalterin Franziska Füchsl die Schriften Livory von Hannes von Döhren und Livius Dietzel sowie Moncler Ultra Light von David Súid. Bei ihrem eigenen Buch Tagwan ist selbst die Anmerkung zur Typografie lyrisch – Füchsl nutzt eine Sprache, die mit regionalen Eigenheiten und Dialektwörtern spielt, und spricht etwa von den „gloschenen Unregelmäßigkeiten“ der Centaur, entworfen von Bruce Rogers nach Schriften von Nicolas Jenson aus dem 15. Jahrhundert und erstmals verwendet 1915 für Maurice de Guérins Text Le Centaur. Große Leseempfehlung für alle, die eine experimentelle, sinnliche, sehr körperliche Sprache lieben oder kennenlernen möchten: Es handelt sich bei Tagwan auf den ersten Eindruck um einen verrätselt wirkenden Prosatext voller Bilder und Sinneseindrücke, dessen einzelne Episoden sich im Weiterlesen zu einem biografischen Bericht zusammenfügen. Füchsl beschreibt Wahrnehmungen, die uns Handlungen und Ereignisse erahnen und an eigene Erlebnisse erinnern lassen: Tagwan von Franziska Füchsl.
Dr. Rike Felka: Verlag Brinkmann + Bose
Zusammen mit Erich Brinkmann leitet Rike Felka den Verlag Brinkmann + Bose. Er ist für die Gestaltung verantwortlich, sie für Lektorat, Öffentlichkeitsarbeit, Übersetzung. Gemeinsam geben Brinkmann und Felka interdisziplinäre Theoriebücher (vornehmlich der Philosophie, Literatur-, Medien- und Filmwissenschaft) heraus. Was hier so trocken klingt, ist Legende – fortgeschrittene Leser·innen und Typografiebegeisterte erinnern sich. Der Berliner Verlag wurde 1980 von Günter Karl Bose und Erich Brinkmann gegründet und 15 Jahre gemeinsam geführt. Bose ging 1995 als Professor für Typografie an die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. 1998 stieg Rike Felka ein. Zum 30-jährigen Bestehen von Brinkmann + Bose gab es 2011/12 die Ausstellung Double Intensity im Museum für angewandte Kunst in Frankfurt am Main und ein gleichnamiges Begleitbuch, 32,5 × 23 cm, 169 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen aus der Geschichte des Verlages. Im Interview-Bericht in von hundert #33, FREIHEIT SPEZIAL (S. 6–10) von September 2019 spricht Rike Felka über die Wirkung von Büchern, ihre Haltung als Verlegerin und die abenteuerlichen, freien, in jeder Hinsicht selbst gestalteten Anfänge des Verlages in den 1980er Jahren im West-Berliner Mauer-Kreuzberg.
Rike Felka stellt uns zwei Brinkmann + Bose Bücher vor. Als erstes Das Telefonbuch der amerikanischen Autorin Avital Ronell, genauer gesagt, den Buchrücken. Dieser sei „auch dann noch sichtbar, wenn das Buch im Regal verschwindet“ und zeige symbolisch Kabel, Sender, Empfänger, Übertragung, Telefontechnik – die Themen des Buches. Dreht man das Buch um 180 Grad, erkennt man auch gelbe Seiten. Für Nachgeborene: Die Gelben Seiten, das war ein großes, sehr dickes, auf dünnes Papier gedrucktes Buch, herausgegeben von der Deutschen Post, dann der Deutschen Telekom, parallel zum Telefonbuch. Die Gelben Seiten enthielten in kleiner Schrift spaltenweise die Telefonnummern und sonstigen Kontaktangaben sowie Werbeanzeigen von gewerblichen Anbietern (das Telefonbuch die privaten). Zurück zum Telefonbuch von Brinkmann + Bose. Zum Einsatz kamen hier die Schriften Univers Extended von Adrian Frutiger, Dynamo von K. Sommer und Minimum von Pierre di Sciullo. Die breitlaufende Univers auf den Innenseiten wirke „wie an einem Faden aufgezogen“, so Rike Felka, und lässt damit erneut eine Telefonschnur assoziieren. Fettdrucke und Einschübe von kontrastierenden Schriftarten zeigten Störungen, Wackelkontakte, ein weiterer Verweis auf den Konnex von Form und Inhalt; das Cover erinnere an Industriedesign. Das Vorsatzpapier thematisiert das Erdtelefon von Joseph Beuys, ein Kunstprojekt von 1967. Kein Wunder, dass Das Telefonbuch, von Rike Felka selbst „fulminant übersetzt“, wie es in einer Rezensionsnotiz heißt, in seinem Erscheinungsjahr 2001 zu einem der Schönsten Deutschen Bücher gekürt wurde.
Als zweites Buch von Brinkmann + Bose sehen wir Dem Archiv verschrieben von Jacques Derrida. Wieder der Buchrücken: Die Trajan von Carol Twombly bildet darauf eine Säule, indem sie umlaufend in den Falz übergeht. Im Regal wird diese Säule wieder fragmentiert, da man nicht alles von und auf dem Titel sieht. Als weitere Schrift kommt bei diesem Werk, einer „Abhandlung des Archivbegriffs für die Handtasche“, die Antique Olive von Roger Excoffon zum Einsatz. Auf den Innenseiten stehen verschachtelte Insert-Kästchen symbolisch für ineinander verschachtelte Gedanken und ihre Ausführungen bzw. bieten dafür mehrere Textebenen. An dieser Stelle gibt es Rückfragen aus dem Publikum zu den Abläufen im Verlag: Wie die Kooperation zwischen Autor· und Gestalter·in funktioniere? Autor Derrida habe ausgesprochen positiv reagiert, berichtet Verlegerin Felka, sonst gab es in diesem Fall keine großen Abstimmungen. Positiv wurde auch befunden, dass die Titelseite nicht klassisch den Autor in den Vordergrund stellt, sondern die Elemente dort fast verschwindend klein seien, dafür die Konzentration auf den Buchrücken als Gestaltungsmittel. Eine sehr konzeptionelle, fast schon experimentelle Ausreizung der gestalterischen Mittel. Wir sind beeindruckt, auch von der stilistisch stimmigen, sorgfältigen Vortragsweise von Rike Felka. Ganz herzlichen Dank, liebe Rike!
Marion Wörle für die Reihe Rohstoff von MSB
Marion Wörle gestaltet für Matthes & Seitz Berlin deren Verlagsprojekt, so nennen sie die Reihe, Rohstoff. Außerdem macht Marion Musik – und hat Jetlag. Wir sind ihr sehr dankbar, dass sie trotz langem Transatlantikflug direkt bei uns gelandet ist! Man merkt es ihr übrigens im Vortrag nicht an. Hellwach präsentiert sie uns die „Rohstoffe“ und zeigt uns vier Bücher aus der Reihe.
Marion Wörles Arbeit bezieht sich auf die Gestaltung des Umschlages mit seinen vier Seiten, also U1 bis U4, vorne außen, vorne innen, hinten innen und hinten außen. „Es ist viel los“ dabei, sagt sie. Von der Produktion her soll es so günstig wie möglich sein, damit bei dieser preisgünstig gehaltenen Buchreihe keine Hemmschwelle für den Kauf besteht. Das bedeutet nicht, dass es gestalterisch anspruchslos oder ganz einfach und einheitlich ist. Den Buchrücken zieren Zitate nach Wahl der Autor·innen. Das Rohstoff-Logo in der rechten unteren Ecke wird immer dort, an gleicher Stelle eingesetzt, aber oft abgewandelt: als Binärcode (bei dem gezeigten Beispiel), in Durchsichtigkeit. Es entsteht etwas Scharfkantiges, eine optische „Scherbe“. So dass es „richtig wehtut, wenn man da reintritt“, sagt Marion. Auch die Manschette sitze immer an gleicher Stelle. Es gäbe aber kein Zentrum auf dem Titel wie bei klassischer Cover-Gestaltung, sondern umlaufende, abstrakte Bildwelten, die Marion für den jeweiligen Titel „komponiert“ – die Grafikerin und Musikerin ist seit über 20 Jahren in beiden Welten aktiv; das geht offenbar bestens zusammen.
Aus dem Publikum kommt eine zweifelnde Rückfrage zur separaten Gestaltung der Innenseiten und dem dadurch gegebenen Kontrast zur Gestaltung des Umschlags, zu dieser Unabhängigkeit der Gewerke. Marion Wörle bestätigt: Je größer der Verlag, desto größer die Arbeitsteilung; der Innenteil und wie er gesetzt wird sei hier bei der Reihe Rohstoff „Standard“. Es ergibt sich eine kleine Diskussion: Ist es schade, dass die Titelgestaltung im Innentitel nicht aufgegriffen wird, oder ergibt gerade diese Teilnormierung gestalterische Flexibilität?
Als zweites Buch zeigt Marion Wörle uns aus dem Dachverlag Matthes + Seitz BerlinDas Gefühl zu denken von Veronika Reichl, eine Neuerscheinung von diesem Jahr. Hier eine Rezension. Die Autorin thematisiert in ihren Erzählungen (basierend auf 50 Interviews) die Emotionen, die wir beim Lesen philosophischer Texte durchlaufen, und hat sich bereits in ihrer Promotion mit der visuellen Darstellbarkeit wissenschaftlicher Texte befasst. Hier spricht sie unter anderem von „Gedankenfalten“. Das wird typografisch mit zwei Schriften visualisiert, die sich ineinander falten und verschränken, erklärt uns Marion.
Wie ihre Zusammenarbeit mit MSB entstanden sei, fragt jemand aus dem Publikum. Dazu kam es über eine Autorin, die sich wünschte, dass Marion für sie das Buchcover gestalte. Es folgte die Gestaltung weiterer Umschläge, und erst dann fingen sie an, über Rohstoffe nachzudenken, so Marion. „Wir haben etwa ein Jahr lang Ideen gesammelt und überlegt, wie wir das Ganze umsetzen.“ Die Gestaltung der Reihe wirke aufgrund des klaren Rahmens vielleicht einfach und einheitlich, aber das täusche, sie gestalte zum Teil bis zu 40 Entwürfe pro Cover. Uff. Später sagt sie, der Austausch mit einer Community und noch dazu einer mal ganz anderen hier beim Typostammtisch habe ihr viel Spaß gemacht, denn beim Gestalten sei sie häufig ganz allein („nur mein Computer und ich“). Ansonsten gäbe es durchaus viel Teamwork im Verlag, aber als Freie habe sie daran ja keinen Anteil. Gern und vielen Dank auch an dich, liebe Marion!
Andrea Schmidt und Tillmann Severin: Verlagshaus Berlin
Andrea Schmidt (Gestalterin) und Tillmann Severin (Lektorat, Öffentlichkeitsarbeit, Übersetzung) stellen das Verlagshaus Berlin und sich selbst als zwei Drittel der Verlagsleitung vor; der dritte im Bunde ist Jo Frank. Moderatorin Sonja an dieser Stelle zum Publikum: „Ihr habt schon gemerkt, dass ich das Stichwort „Kult“ heute oft benutze. Das spare ich mir jetzt, aber …“ Das Verlagshaus Berlin agiert unter dem Motto „Poetisiert euch“ für Lyrik und Illustration – „keine Rangfolge, beides ist uns gleich wichtig“. Erst haben sie eine Zeitschrift für Lyrik gemacht, dann Bücher. Und ein sehr starkes Branding. Zusammen mit liebevoll moderierten Lesungen und weiteren Aktivitäten sorgen sie für große Nähe zwischen ihren Autor·innen, dem Lesepublikum – und sich selbst.
Andrea und Tillmann stellen uns drei Bücher vor, das heißt, mehrere, aber damit drei ihrer Reihen. Als erstes Livestream und Leichen aus ihrer Edition Belletristik: Gedichte von Martin Piekar und Illustrationen von Nina Kaun. Hier geht es direkt zum Buch, von dem sie sagen, dass darin drei Textebenen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) typografisch in verschiedenen Schriftarten bzw. Schriftgrößen dargestellt sind, und zwar in der Epika von Rostislav Vaněk, der Trans Sans von Matyáš Machat und in der Input Serif Condensed von David Jonathan Ross. Dann gab es da noch eine verschlungene Schrift mit vielen Alternates, die uns leider entglitten ist …
Aus ihrer Edition Zwanzig für neue Stimmen (Erstveröffentlichungen) in der Lyrik zeigen uns Andrea und Tillmann die Bände RE: RE: AW: LIEBE von Kevin Junk (erschienen 2022) und BARBARA von Barbara Juch (2023). Die farblich und typografisch klar und prägnant gestalteten Hefte haben einheitlich 48 Seiten („Beschränkung ist gut bei einer Gedichtauswahl“) und eine farblich passende Fadenheftung. Stichwort Fadenheftung: Die Fadenheftung sei ein „Flaschenhals in der Produktion“, kommt im Gespräch mit dem Publikum, aber vor allem den weiteren Verlagsmenschen heraus. Der Beruf des Fadenbinders sterbe aus, die Druckereien halten ihre Kontakte geheim. – Sehr schön diese Szene im gemeinsamen Vortrag: Tillmann Severin schwärmt seine Kollegin, Gestalterin Andrea Schmidt hemmungslos an und begeistert sich dafür, wie sie die Doppelpunkte im Titel von RE: … gekippt und mit einem i-Punkt zu den drei Punkten einer Ellipse zusammengefügt hat, dem Zeichen, das man sieht, wenn am anderen Ende der digitalen Flirt-Leitung jemand gerade schreibt … Yet again, Inhalt und Form. Typografische Form. Und Innenform. Auf dem Cover von BARBARA sehen wir die Schrift Zesta, gestaltet von Jéremie Hornus, Julie Soudannne und Alisa Nowak, deren herausgelöste Punzen innen als Gestaltungsmittel eingesetzt werden, „Ausdruck der Selbstfindung oder Selbstzersetzung: Was bleibt von mir übrig?“ Was hier zurückbleibt, ist der höchst positive Eindruck dieser schlichten, schönen Gedichtbände (zum sehr fairen Preis übrigens auch).
Als dritte Reihe stellen Andrea Schmidt und Tillmann Severin ihre Edition Poeticon vor, eine Lieblingsreihe der Autorin dieser Zeilen. Die kleinen in Graupappe gehüllten Bändchen sind eine thematische Begriffssammlung zum Einstieg in oder zur Begleitung von Lyriklektüre – oder einfach so, zur Erbauung. Thematisiert werden Begriffe, die im zeitgenössischen gesellschaftlichen, gesellschaftspolitischen Diskurs, aber vor allem in der Poetologie mindestens der Autor·innen der jeweiligen Essays eine tragende Rolle spielen. Sie mögen den Zugang zu Lyrik erleichtern, aber auch dem eigenen Denken, Fühlen, kreativen Arbeiten neue Zugänge oder Anregungen geben: durch ihre Unmittelbarkeit, Nahbarkeit vor allem, Nachvollziehbarkeit. Manche der Bände klingen wie schrittweises, schriftliches Denken, wie laut gedacht, live. Im Fließtext sehen wir die Novel, in den Fußnoten Novel Sans Pro von Christoph Dunst, auf dem Cover die Versalien der wie in Stempeldruck fleckig wirkenden Vinyl von Brad Demarea. Das Papier ist von Fedrigoni. Gedruckt wird bei Gallery Print in Berlin. Wunderbare Arbeit, liebe Andrea, lieber Tillmann! Danke für die Einblicke.
Übrigens sind auch sie mit dem Verlagshaus Berlin mehrfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Deutschen Verlagspreis 19, 20 und 22, und zu „100% INDEPENDENT“.
So. Damit müsstet ihr reihenweise Anregungen für eure Lektüre, für besondere bibliophile Weihnachtsgeschenke, für neue typografische Wege und das Gestalten von Büchern bekommen haben.
Vielen Dank unseren Vortragenden für alles, was ihr geteilt habt! Ihr habt uns einen wunderbaren Abend mit wertvollen Einblicken in eure Arbeit bereitet. Ihr habt für einen sehr schönen Büchertisch, Gesprächs- und Lesestoff gesorgt. Viel Liebe und viel Glück weiterhin für euren aufopfernden Einsatz für gute und besonders schöne Bücher.
Lieben Dank für die Vorgespräche auch an die Verlagsmenschen, die jetzt nicht dabei sein konnten. Auf ein nächstes Mal!
Wie kommen die Buchstaben in die Bücher? Wie finden Schriften zu Verlagen, und umgekehrt? Eine Premiere steht ins Haus: Erstmals laden wir beim Typostammtisch zum Verlagsabend.
Die Inhaber·innen, Herausgeber·innen, Autor·innen oder Gestalter·innen (oftmals sind sie all das in Personalunion) illustrer, überwiegend in Berlin ansässiger Literaturverlage erläutern ihre typo-/grafischen Entscheidungen. Dafür bringen sie beispielhaft Bücher mit, legen sie auf den Overhead-Projektor, blättern mit uns durch die Seiten und stellen sich dem Gespräch. Wir freuen uns auf persönliche Begegnungen mit und rare Einblicke in die Arbeit von – Freudenfeuer, Trommelwirbel, großer Tusch: Brinkmann + Bose, Rohstoff, Trottoir Noir, Verbrecher Verlag und Verlagshaus Berlin.
Wann? Donnerstag, 26. Oktober 2023, 19 Uhr Wo? Eisenacher Straße 56, im Studio von LucasFonts, 2. Hinterhof, 10823 Berlin-Schöneberg
Bis dahin, euer Typostammtisch-Team
Typostammtische verpasst? Wer zum Beispiel nachschauen möchte, wie Bücher gebunden oder schriftbezogene Bücher zauberhaft präsentiert werden – eines davon zählt inzwischen zu den diesjährigen 25. schönsten deutschen Büchern, Glückwunsch, liebe Jenna! – wird in unserem Archiv fündig. Und, Ausblick, freut euch aufs TypostammQuiz im November sowie auf, Arbeitstitel, A Tribute to Fontshop. Den planen wir für Anfang 2024. Sammelt also gern schon Spenden für den Gabentisch (Quiz) bzw. Erinnerungen (Fontshop); wir freuen uns bei beidem auf regen Austausch!
Bücher und Buchstaben in rauen Mengen gibt es vom 18. bis 22. Oktober bei der Frankfurter Buchmesse. Das Deutsche Historische Museum, immer einen Besuch wert, zeigt in der Wolf-Biermann-Ausstellung Plakate und weitere Druckerzeugnisse der Zeit. Lesen im Vorbeigehen: Ariane Spanier bespielt den Bauzaun für den Neubau am Kulturforum mit Inschriften. Wenige Schritte weiter, bei Hacking Gutenberg, the-gallery-formally-known-as-P98a könnt ihr Mitglied werden, Rabatt bekommen, Weihnachtsgeschenke kaufen. Behaltet weiterhin die Verlagsreihe Indie Stabi im Blick, nächste Termine dort (monatlich am ersten Dienstag) wären 7. November und 5. Dezember. Bitte unbedingt auch die Typoclub-Veranstaltungen an der UdK Berlin vormerken; dort sind im Wintersemester Typografinnen zu Gast: Yana Vekshyna am 26. Oktober, Petra Rüth am 2. November, Yimeng Wu am 9. November und Golnar Kat Ramahni am 16. November.
Die Titelzeile ist in Elma Trio von Philipp Neumeyer gesetzt, erschienen bei den TypeMates. Das Bücherregalbild ist von Sonja Knecht; darin ebenfalls die Elma Trio.
Wie Minimalismus und Animation zusammengehen und welche Schnittmengen beides in Bezug auf Schriften im Branding haben kann, erörtern Hendrik Weber und Aljoscha Höhborn in unserer Juni-Ausgabe.
In den brandneuen Berliner Räumen von KMS Team spricht Hendrik Weber, dort als Type Director verantwortlich, über Minimalismus in der Corporate Typografie und was diese, bei aller Kritik an onmipräsenten geometrischen Sans Serifs, imstande ist für eine Marke zu leisten. Der zweite Sprecher des Abends, Aljoscha Höhborn, ist im Bewegtbild und der Animation von eben jenen Markenschriften zugange. Auch seine Arbeit wird uns eine wertvolle Perspektive auf das Thema Schrift und Marke aufzeigen.
Wir freuen uns auf einen regen Austausch mit euch bei dem einen oder anderen Kaltgetränk. Kommet zahlreich, Platz ist genug!
Wann? Donnerstag, 22. Juni 2023, 19 Uhr Wo? KMS Team, Alt-Moabit 73/73A, Hof 3, 4. Etage, 10555 Berlin
Bis dahin, wir freuen uns! Typostammtisch-Team
Wer sie bei der Type-Masters Ausstellung im Mai verpasst hat (Nachbericht folgt), kann die Abschlussarbeiten aus Den Haag jetzt auch online anschauen. Einen verspäteten Nachbericht zum Typostammtisch #102, der Type Crit Session in der p98a, findet ihr hier.
Visuelle Umsetzungen von Audioaufnahmen zeigt die Ausstellung LAUTE PLAKATE am 9. Juni im about_bookshop. Synästhetisch spannend! Das A–Z presents lädt am 15. Juni zu einer „Show and Tell“-Session ein. Unter dem Titel Sarah Boris: Exquisite Curiosities könnt ihr physische Objekte und Kuriositäten teilen, die ihr liebt – Bücher oder Buchstaben vielleicht? Die jährliche Werkschau des Fachbereichs Kommunikationsdesign an der HTW findet am 21. und 22. Juli statt. In der Kunsthochschule Weißensee gibt es am 22. und 23. Juli ebenfalls einen Rundgang. Das Blindenmuseum ist momentan wegen barrierefreien Umbaus geschlossen. Die Ausstellung zur Braille-Schrift ist aber teilweise auch virtuell zu durchwandern. Ebenfalls umgebaut wird bekanntlich das Bauhaus-Archiv. Über die Pläne und den Stand der Arbeiten kann man sich im Obergeschoss und mit Blick von der Dachterrasse informieren. Bei der Überbrückung hilft außerdem das Temporary Bauhaus – vor allem das infinity-Archiv, das mittels künstlicher Intelligenz funktioniert, ist sehenswert. Nach Umbaupausen wieder geöffnet sind dagegen die Berlinische Galerie mit aktuellen Ausstellungen, sowie das Haus der Kulturen der Welt (interessant auch das neue, mittels Gesichtserkennung variable Logo). Das Künstler·innenkollektivWhy Not? sucht Mitwirkende bei ihrem für den Winter geplanten Projekt Monstera, bei dem eine Erinnerungslandschaft als interaktive Installation entstehen soll. Noch ein Gesuch: Das auf interkulturelle Gestaltung spezialisierte Studio Wu sucht eine studentische Mitarbeit.
Die Titelzeile ist aus der Octagon Variable gesetzt, einem experimentellen Projekt von Studierenden der HAW Hamburg unter Leitung von Prof. Pierre Pané-Farré und Simon Thiefes.
Im Titelbild nutzen wir die FF Uberhand von Jens Kutílek.
Von Maschinen, die schreiben und den endlosen Möglichkeiten der Buchbindung: Ulrike Rausch und Lea Giesecke stellen ihre Master-Arbeiten vor.
Ulrike Rausch ist Schriftgestalterin, ihre Type Foundry ist LiebeFonts. Für uns beleuchtet sie, wie neue Technologien analoge Schreibgewohnheiten und den Stellenwert von Handschrift verändern. Ulrike beschäftigt sich mit der Frage, welche neuen Formen des Schreibens wir zukünftig mit Robotern und Künstlichen Intelligenzen schaffen können. Für ihre Arbeit hat sie mit einem Roboterarm experimentiert und eigene schreibende Maschinen gebaut. Ein Bestaunen von Mensch-Maschine-Kreationen.
Lea Giesecke ist Grafikdesignerin mit Schwerpunkt auf Print. Mit ihrem BuchBauKasten-Projekt erläutert sie uns die Elemente der haptischen Buchgestaltung. Im freien Umgang mit verschiedenen Techniken entstehen neue Ideen für unkonventionelle Bücher und Buchobjekte. Leas vielseitiger BuchBauKasten eignet sich als Lehrmaterial für Studierende und Lehrlinge, als Inspiration für Gestalterinnen und Künstlerinnen, für Beratungsgespräche in Druckereien, Buchbindereien und Verlagen. Ein Eintauchen in die Buchkunst.
Und für alle, die zu unserem vorletzten Event, dem Typostammtisch #101, nicht dabei sein konnten, gibt es hier den Nachbericht.
Wann? Donnerstag, 27. April 2023, 19 Uhr Wo? Eisenacher Straße 56, im Studio von LucasFonts, 2. Hinterhof, 10823 Berlin-Schöneberg
Wir freuen uns, Pia Christmann und Ann Richter sind bei uns! Dieses Mal wurde als Speakers Imbiss (neue Rubrik) selbst gebackenes Brot, gesundes Grün-Rot, frische Butter und Käse gereicht. Kam an. Pandan. Was für ein guter Klang, schon im Namen. Mehr dazu später.
Studio Pandan, gegründet 2015, haben enorme Strahlkraft insbesondere für jüngere und noch studierende Kolleg·innen. Alle anderen sind ebenso be- bis leicht entgeistert. Warum, das entfaltet sich unmittelbar durch ihre Präsenz und Projekte. Die ruhige, sorgfältige Art ihrer Arbeitsweise kommt schon im gemeinsamen Vortrag raus, das sensationell Neue, Frische ihrer Gestaltungsideen wirft uns umso mehr um und verblüfft quasi stufenweise, je genauer man hinschaut.
Den Namen erklären wir später noch …
Entspannt und konzentriert folgen wir dem Duo in ihrer Präsentation. Die beiden kennen sich seit ihrem Studium in Leipzig (HGB Hochschule für für Grafik und Buchkunst) und sind gut eingespielt. In ihren Projekten ist zu sehen, und Lukas Horn stellt es durch seine Beobachtung am Schluss heraus, dass bei jedem Projekt die Typografie ganz am Anfang kommt.
… und dieses Projekt weiter unten.
Wie arbeiten sie? Sie suchen und sammeln Schriften in einer Art Mood Board, die in Frage kommen könnten für das jeweilige Projekt. Sie tüfteln und bearbeiten diese Schriften, schreiben selber Skripte (in InDesign), um sie nicht für das jeweilige Projektkonzept irgendwie passend zu machen, sondern mit den Inhalten, ja, zum Teil zu verschmelzen.
Ein Beispiel dafür ist ganz offenkundig „das Wasserfall-Projekt“, das anders heißt, aber so in Erinnerung bleibt. Weil die Schrift wasserfallartig von oben nach unten herunterfällt, kleiner wird auf den Buchseiten: innerhalb der Überschriften und Fließtexte (sic!). Es handelt sich um den Ausstellungskatalog zu Dem Wasser folgen, Kunsthalle Bielefeld. In Assoziationen und Reflexionen berührt die Schau ökologische bis philosophische Aspekte rund um das große Thema Wasser. Nach dem Motto Thinking about water is thinking about the future der Künstlerin Roni Horn nutzen Studio Pandan für die Kataloggestaltung umweltfreundliche Papiere und Blautöne als Schrift- und Hintergrundfarbe für die abgebildeten Kunstwerke. Blaues Affichenpapier wird zum durchgehenden Materialmotiv. Stichwort Schrift: Es handelt sich um die (hier vorab veröffentlichte) New Edge von Charlotte Rohde, die mit ihren „teils fluiden Formen und wie mit Farbe gefüllten Ink-Traps“ perfekt zum Thema passe. Spannend die Struktur des Buches und wie diese den Lesefluss (!) beeinflusst (!): Der Haupttext mäandert durch das Buch, immer mal wieder auf und abtauchend.
Schriften, die ins All ausmorphen
Als weiteres Beispiel sei die futuristisch ins All hinausmorphende Kursive im Künstlerbuch für Zach Blas genannt. Oft bindet er Künstliche Intelligenz methodisch in seinen Arbeitsprozess ein. Konsequent haben Studio Pandan in Bezug auf die Typografie auch mit Technologie und Automatisierung gearbeitet, genauer gesagt (auf Rückfrage von Verena Gerlach) mit InDesign-Skripten, beispielhaft hier bei diesem Projekt so: InDesign-Skript —> zufälliges Mischen von zwei verschiedenen Schnitten der LL Unica 77 —> „Glitch-Ästhetik, wie sie auch in Blas’ Arbeiten auftaucht“, so Ann und Pia.
Der Künstler und Autor Zach Blas befasst sich mit Technik, Queerness und politischen Themen.In Zach Blas’ Welt gibt es ein alternatives „Contra-Internet” und KI-generierte Weissagungen einer Zukunft, in der Eidechsen und Elfen angesiedelt sind.Methode: InDesign-Skript —> zufälliges Mischen von zwei Schnitten der LL Unica 77 … —> „Glitch-Ästhetik, wie sie auch in Blas’ Arbeiten auftaucht“ (Projektfotos: Studio Pandan)Schriften, die ins All ausmorphen (Foto: Studio Pandan)
Studio Pandan nutzen Silber, Neongrün und Neonpink als Sonderfarben zusätzlich zur CMYK-Skala, um die beeindruckenden Farben seiner Installationen ins Buch zu übersetzen. „Für den Part, wo Elfen sprechen, haben wir der Schrift einen Glow verliehen und mit Silber auf die Bilder gedruckt“ (dies bezieht sich auf besagte Kursive, wo sie nicht mit der Schriftschnittmischung arbeiten). Herausgegeben und beauftragt wurde das Buch durch das Edith-Russ-Haus für Medienkunst (Verlag Sternberg Press, Produktion print professionals und DZA Druckerei zu Altenburg).
Von der Straße …… ins Museum.
Pandemiefreundliche Puzzle-Edition
Bei den freien Projekten, mit denen Pia Christmann und Ann Richter sich beschäftigen, geht es um gesellschaftskritische Themen wie Feminismus und Design. Ihr „Pandemieprojekt“ war More Women Solo Art Shows. Zur Demo am 8. März 2020 zum Internationaler Frauentag hatte Stefan Marx in einer markanten weißen Versalschrift Plakate mit Parolen gestaltet, die auf vielen Fotos zu sehen waren und für hohe Aufmerksamkeit und Wiedererkennung sorgten. Angeregt davon, entwickelten Studio Pandan eine Puzzle-Edition, und konnten das Museum Villa Stuck von der Idee überzeugen, das Puzzle herauszugeben und damit in Serie zu gehen.
Hochschulfreundliche Kooperationen und verpixelte Handtücher
In einem Plakat-Workshop an der Muthesius Kunsthochschule Kiel regten Ann und Pia Studierende dazu an, mit den verschiedenen typografischen Genderformen visuell zu experimentieren. Zur Unterstützung des Crowdfundings von Hannah Wittes Buch Typohacks gestalteten sie das Plakat Un_Writing Gender, auf dem sie die traditionellen, binären weiblich-männlich-Zeichen zerhäckseln. Der Titel bzw. Slogan ist eine Referenz zum Konzept Un_doing Gender (Hirschauer, Butler); als Schrift verwenden sie die Apparat von Lisa Drechsel.
Am Überbrücken von zu engen Wertesystemen ist Studio Pandan auch in einem größeren Kontext gelegen. Für das Kunstfestival Balade Berlin im Stadtteil Charlottenburg gestalteten sie die Visuelle Identität – und installierten vor dem sehr feinen Hotel Savoy drei Flaggen mit der Aufschrift UN_DOING CLASS. Den Claim setzten sie in der Flemish Script, einer klassizistischen, monumentalen Antiqua, auch in Anlehnung an Marcel Broodthaers und wegen des exquisiten Flairs, das diesen Schrifttypen anhaftet. Allerdings sparten sie nicht an Effekten. „Denn uns geht es natürlich um den Bruch und die Infragestellung von Klassen und Schubladen – nicht nur in Stilen“, erläutern sie. „Das wird spätestens auf der Bildebene klar, auf der wir mit ,Poor Images‘ gearbeitet haben, verpixelten Abbildungen von Strandtüchern. Die „Kitschmotive aus dem Internet“ kamen, handtuchgroß aufgeblasen, nicht nur in Charlottenburg gut an.
Die „Kitschmotive aus dem Internet“ kamen, handtuchgroß aufgeblasen, nicht nur in Charlottenburg gut an. Brüche im Design, Brüche in Erwartungen und stilistischen Vorurteilen zu einem Berliner Stadtteil?
Im Nachhinein stellen wir gemeinsam fest: Die pandemiebeeinflusste Aufteilung von Studio Pandan und Eps51 (siehe Nachbericht), die in einem Haus sitzen und die wir ursprünglich zusammen einladen wollten, war viel besser! Jede hatte viel, viel Raum und die Zusammenbringung von Schriftanwender·innen mit Schriftgestalter·innen ist richtig produktiv. Zumal, wenn der Umgang mit Schrift und den Mitteln der Typografie so außergewöhnlich und fundiert geschieht.
Eine spannende Frage aus dem Publikum war, wie Pandan ihre Auftraggeber·innen von ihren Gestaltungen überzeugen. Es werde immer weniger nötig, sagt Pia, und Ann ergänzt „wir haben dafür keine spezielle Strategie ausgeheckt“. Aber: Sie würden ihre Ideen erklären, die konzeptionellen Gedanken auch hinter Details. Dazu passte der visuell-verbale Abschluss der Präsentation, bei dem Pia diverse Textauszüge und Zitate aus einiger ihrer Projekte zeigt. Jedes davon könne als Motto für sie als Kreative verstanden werden.
Vielen Dank, dass ihr da wart, liebe Ann, liebe Pia!
Oder umgekehrt: Pia, Ann. Pandan. Ihr Name, auch dieses Geheimnis wurde auf eine Publikumsfrage hin gelüftet (die mich als Texterin besonders freute), lässt ihre Vornamen anklingen. Pandan habe (a) einen sehr schönen Klang und erinnere an Pan Am, so Pia; Pandan ist eine südostasiatische Pflanze und damit ein persönlicher Bezugspunkt für Ann – es gibt sie auch als sehr leckere Eissorte, empfiehlt im Publikum Verena Gerlach, die Autorin denkt an dieser Stelle: das neue Waldmeister! Muss ich probieren. Zudem ist Pandan (c) knallgrün, also Logofarbe fürs Studio und ein Statement: für mehr Farbe in der visuellen Gesaltung. Die Menschen mögen Farbe, ziehen die beiden noch als Fazit aus ihrer Arbeit. In diesem Sinne: Pandan!
Der Abend klingt noch lang und mit fröhlichen, angeregten Gesprächen aus. Ich erinnere mich an Christoph Koeberlin (Sportfonts), wie er unsere Vortragenden beruhigt: Schrift-Nerds seien „gar nicht so schlimm“ und kritisch als Publikum (damit, ob und wie alle Schriften genannt werden). Ich erinnere mich an das Hamster-Gespräch mit Typostammtisch-Gründer Ivo Gabrowitsch (Fontwerk) über Schriftnamensfindungsprozesse, die meist keine seien, sondern ihm entspringen (oder wie Hamster von den Gestalter·innen kämen). Ich erinnere mich an viele neue Gesichter beim Typostammtisch und viel freudige Begeisterung über die schöne Location – Riesendank an Luc(as)/LucasFonts)! Ich denke an meine Kollegin Gosia Warrink von der UdK (Universität der Künste) Berlin, mit Katja Koeberlin als Design-Studio Amberpress, und an unsere Studierenden und wie alle aufeinander zugingen. Ich erinnere mich an meine Aufregung, danke Lukas für die Co-Moderation (!!!) und wie ungewohnt und schön doch wieder solche Zusammenkünfte sind …
Was wir euch außerdem noch sagen wollten …
Mit diesem Typostammtisch haben wir einen neuen Alterspannweitenrekord aufgestellt! Trommelwirbel, Tusch: von 14 Jahren (LucasFonts-Schülerpraktikantin Neike) bis 85 Jahre (Klaus Rähm). Auf die nächsten 100 Jahre Typostammtische, die mit der Ausgabe 101 sehr schön begonnen haben. Nicht vergessen: Newsletter = Einladung zu 102 ff.
Lukas Horn und Sonja Knecht, Team Typostammtisch mit Pia Christmann und Ann Richter, Studio PandanAnn Richter & Pia Christmann glücklich und erschöpft nach ihre tollen Präsentation – vielen Dank nochmals euch beiden! War super.
(Fotos: Sonja Knecht, Lucas de Groot und Dr. Thomas Maier / Typostammtisch Berlin)
Wir holen im Februar endlich unseren Abend mit Studio Pandan nach! Gründerinnen Pia Christmann und Ann Richter geben uns Einblicke in ihre Arbeit und ihren Zugang zur Typografie.
Und für alle, die zu unserem letzten Event, dem Typostammtisch #100, nicht dabei sein konnten, gibt es hier den Nachbericht.
Wann? Donnerstag, 23. Februar 2023, 19 Uhr Wo? Eisenacher Straße 56, im Studio von LucasFonts, 2. Hinterhof, 10823 Berlin-Schöneberg
Bis dahin, euer Typostammtisch-Team
Am 16.2. um 19 Uhr wird der Vortrag Counter Session #4, Cyberfeminism Index with Mindy Seu in der Galerie A-Z presents gehalten. Parallel dazu – selber Abend, selbe Zeit – wird es Vorträge von Yana Vekshyna und Benn Zorn bei TypeThursday geben (Anmeldung erforderlich, Ort ist LucasFonts). Am 23.2. findet die Lesung Gestaltung ist Haltung – Vom Aussen und Innen der Bücher in der StaBi statt (um Anmeldung wird gebeten). In Potsdam gibt es gleich zwei Ausstellungen von der Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt zu entdecken. Ihre Schreibmaschinenkunst wird vom 11.2. bis 5.5. im MINSK und ihre Mailart bis zum 16.4. im Kunstraum (c/o Waschraum) ausgestellt. Bis zum 30.4. bespielt Monica Bonvicini die Neue Nationalgalerie mit ihrer Kunst, teilweise auch mit räumlichen Schriftinstallationen. Bis zum 14.5. gibt es in der Ausstellung Broken Music Vol. 2 im Hamburger Bahnhof viele Plattencover zu sehen, die neben dem Grafikdesign auch mit interessanter typografischer Ausstellungsgestaltung begeistern.
Die Titelzeile ist in einer unbenannten Antiqua von Trifon Andreev gesetzt.