Sonnige 26 Grad und überhaupt passte alles für einen perfekten Abend in unserer derzeit größten Location, LucasFonts in Berlin-Schöneberg, wo wir uns auch auf die Hinterhofgartenterrassen ausbreiten können. Schätzungsweise rund 150 Gäste gaben sich die Ehre. Es fühlte sich jedenfalls an wie ein neuer Rekord und viele neue Gesichter waren dabei, kein Wunder, ging es doch dieses Mal explizit um die Anwendung von Schrift, um Typografie. In Magazinen. Ja, Print.
Wie werden Schriften ausgewählt, wie und warum werden welche gestalterischen Entscheidungen getroffen? Profis vier ganz unterschiedlicher Print-Publikationen stellten sich, ihre Ideen und Konzepte vor.
bauhaus now ist das offizielle, zweisprachige Magazin des Bauhaus-Verbunds und geht der Frage nach „Was bedeutet das Bauhaus heute?“. Fabian Maier-Bode und Peer Hempel von der Berliner Markenagentur Stan Hema stellten es bei uns vor und machten deutlich, dass und wie hier Inhalt und Gestaltung zusammenhängen: Die Elemente Bild und Zitat „schieben von links und rechts rein“ in die mit Fließtext gut gefüllten Seiten, „Elemente drängen sich“; es geht hier um das Erweitern und Sprengen von Grenzen – bei einer Auftragspublikation.
Interessant: Wo allein schon durch den Namen des Absenders gestalterische Leitlinien oder Vorgaben, gelinde gesagt, mehr als erwartbar wären, wo mindestens auch – immerhin begleitet das Magazin das hundertjährige Jubiläum der Kulturinstitution Bauhaus – mit Wünschen seitens der Verantwortlichen zu rechnen ist, gelingt Gestaltung, die überrascht und damit der Absenderinstitution gut tut (von der doch sicher jeder, der im weitesten Sinne mit Gestaltung zu tun hat, gewisse repetitive Bilder abrufen kann, auch wenn wir gleichzeitig wissen, wie weltbewegend innovativ das Bauhaus einst war). Das tut gut, weil Gewohntes, Tradiertes, kulturell-gestalterisch Codiertes tatsächlich in neuem Licht erscheint, zeitgemäß. Das Magazin hat Frische.
Fabian Maier-Bode und Peer Hempel hatten sich bis hin zur Schriftwahl nicht davon abhalten lassen, experimentell zu agieren und bei Bedarf auch Durchsetzungsmühen auf sich zu nehmen (so jedenfalls ließen sie es durchschimmern), um gemeinsam mit ihrem Auftraggeber – letztlich voll und ganz in dessen Sinne – gewohnte Wege zu verlassen. bauhaus now eben, nicht von gestern. Konkret: nix Futura. Keine „Bauhaus-Schrift“. Die Lab Grotesque von Göran Söderström / Letters of Sweden, die Stadt von Michael Cina / Associated Typographics und die Totentanz von Yoann Minet / Bureau Brut kommen gekonnt und gezielt zum Einsatz. So entstanden drei typografisch ganz unterschiedliche Ausgaben von bauhaus now und, das hoffen die Gestalter, werden weitere folgen; noch ist jedoch nicht sicher, ob das Magazin nur das Bauhaus-Jubiläum begleiten oder weiter erscheinen und die Idee Bauhaus weitertragen darf. Wir drücken die Daumen.
Text-Konzept-Schrift-Korrelationen und Stammtischstimmung
Die Epilog aus Berlin/Weimar, vertreten durch Art-Direktorin Viola Kristin Steinberg, präsentiert sich als „Zeitschrift zur Gegenwartskultur“, als inhaltlich getriebenes Projekt von Absolventinnen der Bauhaus-Universität. Am Kiosk war nicht zu finden, „was sie suchten“. Als „eine der Konstanten“ im 13-köpfigen Team (mit Chefredakteur Fabian Ebeling) erläutert Viola Kristin Steinberg diverse Schritte im Design und einem größeren Redesign; man sei im Format kleiner geworden, man habe „bisschen was Buchigeres machen“ und die Konzentration legen wollen auf großzügige, voneinander getrennte Bild- und Textstrecken. Bei den Schriftarten wählte man die U8 von Anton Koovit / Fatype (für Logo und Headline-Schrift) sowie die Tiempos von Klim Type Foundry für den Text. Ein sehr klarer, sauberer Satz einerseits, denn „die Texte sind schon bisschen verschwurbelt, da muss der Rest nicht auch noch kompliziert sein“, andererseits klare Text-Konzept-Schrift-Korrelationen: Beim Themenheft „Protest“ („Brauchen wir den Aufstand?“) ist je ein Buchstabe in jeder Headline anders gesetzt als der Rest, sprich, probt den Aufstand; bei der Humor-Ausgabe wird mit der ZIGZAG von Benoît Bodhuin / bb-bureau & Volcano Type experimentiert, „damit das Ganze witzig wird“; bei der Trash-Kultur-Ausgabe nimmt Die Epilog – Achtung – das Format der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) auf und halbiert es, dazu deren Raster, und tobt sich aus mit Times New Roman und Arial („wir hatten damit sehr viel Spaß“). Passend dazu nutzten sie für die Bebilderung „exzessiv“ das Sponsoring eines Stock-Foto-Anbieters – und verkauften das Endprodukt schließlich für 99 Cent. Ging natürlich schnell weg.
Apropos Schriftwahl und Strategie und nomen est omen: Für ihre Prinz-Charles-Ausgabe (er prangt auf dem Titel, das Thema ist „Irrelevanz“) nutzt Die Epilog die Monarch von Jacob Wise. Außerdem sei man bei besagter Ausgabe, ihrer Nr. 7, umgestiegen auf die Moderat von Fabian Fohrer und Fabian Huber / Tightype, in der nächsten Ausgabe kommen die Serif Babe von Charlotte Rohde und Cheesy Tots von Napoleon Typefaces zum Einsatz, Erscheinungstermin 9. Mai. Vormerken! Auf die Frage nach ihrer Lieblingsausgabe nennt Viola Kristin Steinberg erst die Nr. 7, und korrigiert sich dann, es sei die aktuell im Entstehen begriffene Nr. 8 (Titelthema „Wird schon schiefgehen – Große Pläne“). Wir freuen uns darauf! Auch stehen bei Die Epilog die Schriftarten im Impressum. Großes Lob.
FAZ Quarterly wird uns vorgestellt von den Art-Direktorinnen Catrin Sonnabend und Julia Vukovic. Sie zitieren die Selbstbeschreibung ihrer Redaktion, man widme sich (viermal im Jahr auf 180 Seiten) „mit intellektuellem Tiefgang, souveräner Stilsicherheit und visueller Opulenz“ dem Thema Zukunft. Das kommt tatsächlich sehr souverän und opulent daher und bestätigt sich in der Haptik, durch das Papier, in der Bildsprache; die Schriftwahl dagegen darf als konservativ-traditionell bezeichnet werden: Garamond Pro für den Fließtext, Neue Helvetica für die Randspalten, Optima für die Headlines im titelthematischen Teil. (Es gibt vier Teile im Heft und Teaser dazu auf dem Cover.) Die Optima-Headlines sind in Wörter und Wortgruppen „aufgebrochen“, es entstehen Lücken und Wortabstände, über die sich unser Gast Erik Spiekermann in der ersten Reihe lautstark beschwert, was wiederum Kollegin Verena Gerlach einschreiten lässt und schließlich in einem versöhnlichen Abschluss nicht nur für die Vortragenden mündet. Kurz, es kam – trotz Vortragssituation und Moderation – wie üblich Stammtischstimmung auf.
Brüche in der Pracht
Interessant an dem Vortrag und an der gestalterisch-strategischen Vorgehensweise von Catrin Sonnabend und Julia Vukovic war, dass sie trotz oder gerade wegen oder jedenfalls innerhalb der doch sehr engen typografischen Vorgaben ihres Stammhauses, unter dem Dach der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, bei ihrer Zusatzpublikation (denn ein Beileger ist es natürlich nicht) experimentell vorgehen. Damit sorgen sie tatsächlich für Brüche in all der Pracht. So sind die besagten Randspalten derart schmal gesetzt, dass letztlich unmögliche Umbrüche entstehen, der Lesefluss gestört wird, der Text wie zerhackt wirkt. Die Folio (auch im Logo) rundet das Sortiment der „sehr klassischen Schriften aus den Fünfziger Jahren“ ab, bewusste Referenzen seien das, so die beiden Designerinnen, und zeigen 1970er-Jahre-James-Bond-Plakate (Folio) sowie das YSL-Logo (des Modeschöpfers Yves Saint Laurent), das zwar handgezeichnet ist, aber der Optima stark nachempfunden ist oder wirkt. Auch inhaltlich widmet man sich ganz klassischen Themen wie Reise und Essen; der berühmte Proust’sche Fragenkatalog, den fortgeschrittene Leserinnen noch aus dem (inzwischen eingestellten) FAZ Magazin kennen dürften. Er schließt das Magazin ab und bildet die inhaltliche Klammer zu den Frequently Asked Questions, der Rubrik, mit der das Heft eröffnet wird. Die 11. Ausgabe der FAQ erscheint Ende Mai.
Missy Magazine erscheint seit 2008 „für und über Frauen“ und ist heute, in einer Auflage von 30.000 Exemplaren, integraler Bestandteil hiesiger Gegenwartskultur. Uns beehren Daniela Burger und Lisa Klinkenberg (Art-Direktion, Grafik) und stellen uns ihre Publikation „für Pop, Politik und Feminismus“ vor. Hier werden zwei Dinge besonders deutlich: dass der Antrieb, ein Magazin zu machen, meist nicht als Gestaltungsvorhaben entsteht, als Anliegen von Grafikdesignern daherkommt, sondern aus der Redaktion, sprich, inhaltlich getrieben und oft stark getriggert ist. Bei der Missy sind es handfeste politische Anliegen, die den Auslöser darstellten. Ursprung war der Wunsch, sich den Themen „Politik, Kultur, Sex und Mode“ zu widmen, und zwar aus feministischer Sicht, und zwar ohne in Klischeeschubladen zu landen – und die Fallen sind hier klar: Feminismus, Frauenzeitschrift. Daniela Burger und Lisa Klinkenberg eröffnen ihren Vortrag mit Bildern, eingereicht von Leserinnen, die zeigen wie sie das Missy Magazine an Kiosken finden: einsortiert zwischen Modezeitschriften, Prominenten- und Prinzessinen-Boulevard oder latent Pornografischem.
Das helle Gelb als CI-Farbe sehe in echt ganz anders (schöner) aus als bei uns auf der Leinwand, es kommt für Kapiteltrennseiten usw. zum Einsatz, andere Farben „tragen zur Heftkultur bei“, und die Schriften „sollen einladend und feministisch aussehen“, was heißt das? Es ist „etwas Sperriges“ da, im Feminismus, die Schrift in den Headlines ist gesperrt und steht formal in Kontrast zur weichen Fließtextschrift; auch sei ihnen wichtig gewesen, dass „verschiedene Welten co-existieren, darum geht es uns“ – in erster Linie natürlich inhaltlich und von ihrer gesellschaftspolitischen Haltung her. Doch auch die Schriften der Missy sollen friedlich nebeneinanderstehen, der Fließtext natürlich gut lesbar sein, „zeitlos und relativ neutral“, so Lisa Klinkenberg. Hierfür kommt die News 706 (Regular) von Jackson Burke / Linotype zum Einsatz und „für allen Rest“ die Agipo (Bold und Regular) von Radim Peško / RP Digital Type. Insbesondere die Wahl dieser Headline-Schrift sei „politisch motiviert“, erklärt Daniela Burger. Überhaupt kommt hier heraus, dass und wie Schriftwahl gewissen Anliegen und Umständen geschuldet ist. Unter dem Dach eines großen Verlagshauses ist man natürlich finanziell anders ausgestattet als bei einem kleinen, aus eigener Kraft gegründeten und gestemmten Independent-Magazin, das unabhängig schalten und walten und eben auch gestalten will.
Auf eine Rückmeldung im Publikum hin, ob die verwendeten Schriften beim Missy Magazine von weiblichen oder männlichen Designern stammen (letzteres), nahmen sich die beiden Vortragenden vor, sich das Thema Schriftwahl auch unter dem Gender-Gesichtspunkt noch einmal vorzunehmen. Die Listen von Schriftgestalterinnen sind ja in den letzten Jahren immer länger geworden – gut so!
Dankeschön und Fazit
Vielen Dank unseren Vortragenden! Tapfer ertrugen sie – hier kommen wir zu den Hausnotizen – den Wackelkontakt am Mikro (um es alsbald beiseitezulegen). So etwas ist uns zum Glück noch nie, leider aber diesmal passiert; doch coram public hatte Luc(as) „keine Lust zum Löten“. Das Publikum hielt ebenso tapfer still, blieb aufmerksam und trug mit spannenden bis spannungsreichen Kommentaren zum Gelingen des Abends bei, geleitet und moderiert von Anja Meiners und Stefan Pabst. Die beiden hatten den Kontakt zu den Magazinen und den Verantwortlichen hergestellt und das Ganze kuratiert.
Sehr gefreut hat uns, wie viele und vielfältige Gäste die Gelegenheit zum Austausch nutzten. Berühmte Buchgestalterinnen (Friedrich Forssman, Jenna Gesse), reizende UdK-Studenten (David Reitenbach, Paul Jochum, Suorui Zhao), Agenturleute (Toshiya Izumo von Edenspiekermann, die Stan Hemas), viele neue Gesichter und Freunde offenbar auch der Magazine und natürlich viele liebe Stammgäste, Typografie- und Schriftgestaltungsfachleute gaben sich und uns die Ehre.
Schön und spannend war, dass in den Vorträgen neben den gestalterischen Prozessen auch die redaktionellen Hintergründe beleuchtet (und anschließend diskutiert) wurden: wie diese zusammenhängen mit Entscheidungen, die die Gestaltung der Magazine betreffen.
Nicht nur die finanzielle Ausstattung, sondern mehr noch die jeweiligen inhaltlichen Konzepte und Ansprüche spielen eine Rolle bei der Schriftwahl:
- gesellschaftliche Diskurse zu bewegen und mitzuprägen und dabei thematisch bedingte Vorurteile und Konventionen eben genau nicht zu erfüllen (Stichworte Feminismus, Pop, Kultur), sondern originär und originell zu sein bleiben, so wie das Missy Magazine;
- einem kultur- und designgeschichtlich vorgeprägten Auftraggeber und sich selbst in seinem kommunikationsstrategischen wie gestalterischen Anspruch, auch an Aktualität, gerecht zu werden wie Stan Hema mit bauhaus now;
- der Markenausrichtung der Dachmarke und Hauptpublikation zu entsprechen wie bei der FAZ Quarterly, dabei trotzdem Grenzen auszuloten und sie weiter zu stecken als von Haus aus intendiert;
- oder sich von vornherein keinerlei Limitierungen, sondern „nur“ den eigenen Ansprüchen, Mangel- und Notwendigkeitsgefühlen in Sachen Inhalt ausgesetzt zu sehen wie bei Die Epilog – und dies auch auf gestalterischer Ebene hingebungsvoll-professionell auszuleben.
Die Epilog entleihen wir auch unser Schlusswort: „den großen Wandel in den kleinen und alltäglichen Dingen zu entdecken“ und diesen zu dokumentieren, geht es darum nicht letztlich vielen von uns, die wir an der Konzeption, Redaktion und Gestaltung von, zum Beispiel, Print-Publikationen beteiligt sind? Wir freuen uns sehr, dass wir die Macherinnen und die Nutzer von Schrift unter einen Hut, in Direktkontakt und vor allem: miteinander ins Gespräch bringen konnten.