Nachbericht 82. Typostammtisch: TypeCrit

Viele Gäste an diesem Abend kommen sehr früh, stellt man beim Blick auf die Uhr überrascht fest. Es ist kurz vor 19 Uhr und der Raum wird schon seit einiger Zeit immer voller. Das mag von großem Interesse, günstiger Wegeplanung nach Feierabend oder auch von einem Hauch deutscher Handtuchmentalität zeugen (die Plätze im Max & Moritz sind ja bekanntlich begrenzt)…

Aber alles der Reihe nach. Zunächst: die Location! Wir befinden uns am einstigen Typostammtischstammstandort. Einige Besucher fühlen sich direkt heimisch, andere sind zum ersten Mal da. Des Weiteren interessant: die Mischung! Jung und Alt, Profi und Studentin, Fachfremde und Typenerd – ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Ungefähr 60 Menschen sind da und freuen sich auf das Thema des Abends: TypeCrit.

Begrüßung und Vorstellung

Keine Crit ohne Critics. Nach einer kurzen Begrüßung stellen sich der Reihe nach vor: Verena Gerlach, Typostammtischstammgast und sowohl ehemalige Studentin als auch Dozentin in Weißensee, hat nach eigener Aussage mehr Lust auf spannende, modulare Entwürfe als auf geometrische Sans. Ralph du Carrois, seines Zeichens Spezialist für eben diese geometrischen Sans: „je langweiliger, desto besser“, wie er es augenzwinkernd formuliert. Es folgen Martina Flor, bekannte und geschätzte Lettering-Expertin und Buchautorin, sowie Sol Matas, sonnige Typostammtischmitorganisatorin, die lange in Buenos Aires unterrichtet hat und an diesem Abend schon auf dem Sprung zum nächsten Typostammtisch in Mumbai ist. Martin Huber und Jürgen Wenzel von Supertype stellen sich kurzweilig vor und haben reichlich Belohnung in Form von Süßigkeiten dabei. Den Abschluss macht Luc(as) de Groot, Typostammtisch- und Schriftgestaltungsinstanz mit Lehrauftrag an der FH Potsdam und vorher in Weißensee (wo er Verena Gerlach beibrachte, wie man Entwürfe konstruktiv kritisiert, wie sie anmerkt).



Unsere Crits in Aktion: Sol Matas (Foto: Nadya Kuzmina), Ralph du Carrois, Luc(as) de Groot,  Martina Flor

Die Vorstellungsrunde ist gelaufen und die ersten Entwürfe werden besprochen. Das Experiment hat begonnen. Im Laufe des Abends bilden sich neben den „offiziellen“ Kritikerrunden kleine Grüppchen, die über Entwürfe debattieren, Mini-Software-Kurse abhalten und sich über alles mögliche austauschen. Beim Blick über die Schultern sieht man verschiedenste Entwürfe: digitalisierte Stempelschriften, geometrische Sans, variable Superfamilien, Helvetica-Abwandlungen, Lettering, … gezeigt von unterschiedlichsten Gestalterinnen und Gestaltern auf Papier und am Bildschirm. Man schnappt Fragmente wie „eckige Acht“, „Schultern am O“, oder „Lieblings-A“ auf und fühlt sich einfach wohl in diesem regen Austausch von Nerdigkeiten. Deshalb sind wohl alle gekommen. Es bleibt das Gefühl, dass wir so etwas öfter machen sollten.


Korrekturgrüppchen wohin das Auge reicht. Hier: Sebastian Carewe und Benedikt Bramböck in Gesprächen

In anschließenden Gesprächen mit den Crits zeigen sich Anregungen und Gangrichtungen für ein nächstes Mal. „Ich fand es toll, dass auch Profis ihre Sachen gezeigt haben“, sagt Martin Wenzel zum Beispiel und Jürgen Huber pflichtet bei: „In unserer Branche gibt es zu wenig positiven, fachlichen Austausch und Kritikkultur“. Verena Gerlach sagte schon am Anfang des Abends: „Ich finde, dass man zu JEDEM Typostammtisch Entwürfe mitbringen sollte“. Außerdem wünscht sie sich, dass „jeder Feedback geben kann, nicht nur die eingeladenen Kritiker“. 


Verena Gerlach im Gespräch / Die Gummibärchen sind schon fast alle: Jürgen Huber und Martin Wenzel zu fortgeschrittener Stunde

Der Bedarf für so eine Veranstaltung war und ist also auf jeden Fall da. Jedem Besucher sei ans Herz gelegt, dass der Typostammtisch ungeachtet des Themas des jeweiligen Abends immer offen für mitgebrachte Entwürfe ist. Darüber hinaus könnte sich das Format TypeCrit in ähnlicher Form wie an diesem Abend etablieren. Wir freuen uns darauf.