Nachbericht 106. Typostammtisch: Schriftspaziergang & Biergarten

Die Vorhersagen waren sehr durchwachsen, doch pünktlich zum Start der Tour mit Fritz Grögel und Florian Hardwig kam die Sonne heraus. Bereits im U-Bahnhof gab es Informationen über die Entwicklung der Berliner U-Bahn, über die Teilung der Stadt und über den Unterschied von Typografie und Lettering.

U-Bahnhof Klosterstrasse
Florian erläutert die Entwicklung des Berliner U-Bahnnetzes

Wieder an der Oberfläche, bestaunten wir die fabelhafte Inschrift auf einer verspielten Jugendstil-Fassade. Sie gehört zum Geschäftshaus der Textilfabrikanten Berthold und Georg Tietz (entfernte Verwandte des Warenhausmagnaten Hermann Tietz) und bot Anlass, an ein dunkles Kapitel der Berliner Stadtgeschichte zu erinnern, als zur Zeit der NS-Diktatur jüdische Mitbürger·innen enteignet, verfolgt und ermordet wurden. 

Gebrüder Titz Berlin Annaberg
Fritz referiert zur Parochialkirche und zu Grabstein-Inschriften

Der Friedhof der Parochialkirche mit neuem Glockenspiel hatte prächtige Schinkel’sche Grabkreuze und steinerne Epitaphe zu bieten, mit schönen Beschriftungen in Fraktur, mit und ohne typographisch korrekte Ligaturen und der typischen Mischung von Fraktur für deutsche und Antiqua für lateinische Teile der Aufschriften.

Nach des Lebens Sorgen,
nach des Grabes Nacht,
Tagt ein schöner Morgen,
In des Himmels Pracht.
Darum gebe ich uhm dem Herrn wieder sein Lebelang, wei er vom Herrn erbeten ist.
Darum gebe ich ihn dem Herrn wieder sein Lebelang, weil er vom Herrn erbeten ist.
"Schieß" ch-Ligatur, lages s rundes s keine Ligatur, 29. März 1844
Schmuckstücke mit und ohne typografisch korrekte Ligaturen

Vorbei an der mittelalterlichen Stadtmauer ging es zur wechselhaften Geschichte der ältesten Kneipe Berlins „Zur letzten Instanz“, so benannt mit Blick auf das nahe gelegene Gericht, dem Stammlokal von Pinsel-Heinrich Zille (1858–1929), dem Chronisten der kleinen Leute.

Blick in die Parochialstraße
Historische Ansicht der Parochialstraße im Vergleich zu heute

Vor der »Letzten Instanz« wurde die Geschichte der Ladenschilder der Kesselflicker im Berlin des frühen 19. Jahrhunderts greifbar. In unmittelbarer Umgebung konnte die Entwicklung der Berliner Straßenschilder in Ost und West nachvollzogen werden. 

Fritz erzählt über die Kesselflicker
Parochialstraße (West)
Parochialstraße (Ost)

Entlang des Königlichen Landes- und Amtsgerichts ging es in Richtung Alexanderplatz. An die Erklärung des deutschen Apothekenzeichens schlossen sich Hintergründe zum Haus des Lehrers und zur Weltzeituhr an. Die dreistündige Tour endete am Altem und Neuem Museum und bei deren wunderbaren Inschriften. 

Apothekerzeichen am Alexanderplatz
Das abgewandelte Apothekerzeichen mit Richtungspfeil
Fritz Grögel und Florian Hardwig vor Baukränen gegenüber dem Haus des Lehrers
Am ewig werdenden Alexanderplatz

Als großer Wermutstropfen bleibt, dass der frisch restaurierte Totentanz in der Marienkirche nicht bestaunt werden konnte. Wegen einer Abendveranstaltung war die Tür bereits verschlossen. Doch so gibt es jetzt noch etwas, was die begeisterten Teilnehmer·innen künftig auf eigene Faust entdecken können.

Danke Florian und Fritz für einen wieder einmal hochinteressanten Spaziergang!

Hunde (auch falsche) bitte an die Leine nehmen
Emailleschild am Eingang „Zur letzten Instanz“