Nachbericht 88. Typostammtisch: Blei ist unsere Sonne

Besuch aus Dresden auf Zwischenstopp: Für Heike Schnotale und Max Lotze von der Offizin Haag-Drugulin folgt auf diesen Typostammtisch der wohlverdiente Urlaub
– Max verbringt ihn mit Familie und Heike fährt weiter nach Hamburg, um unter anderem das Museum für Arbeit zu besuchen. Da ist so ein Stammtischabend doch ein guter Startschuss.

Die ungefähr 50 Gäste nehmen erwartungsvoll Platz, eint doch alle das Interesse an Bleisatz und die Neugier auf die beiden Mitarbeiter der altehrwürdigen Druckerei in Dresden. Heike und Max spielen anhand eines fiktiven Auftrags alle Arbeitsbereiche durch und spicken ihre Erzählung mit Anekdoten und Details. So können selbst die Spezialisten unter unseren Gästen etwas Neues lernen, nicht zuletzt zahlreiche Fachbegriffe. Oder ist das „Hobeln“, sind „Spießer“ und „blutige Füße“ im Druckkontext jedem außer der Autorin geläufig? Zu den Auflösungen* später…

Heike, studierte Gestalterin und Fotografin mit Hang zum Manuellen, ist Azubi in der OHD. Max, gelernter Mediengestalter und Assistent für Wirtschaftsinformatik, ist dort seit rund 10 Jahren an den Gießmaschinen tätig. Beide versprühen auf sympathische Weise Leidenschaft für ihr Handwerk; sie wollen begeistern für ein aussterbendes Berufsbild („den Bleisatz als kulturelles Erbe erhalten“) und kokettieren gelegentlich mit dieser besonderen Rolle:

„Bleisatz als pädagogisches Hilfsmittel für mehr Vorausplanung
– man kann eben nicht kurz vorher nochmal die Schriftart ändern, wie in InDesign.“

„Bei uns wird noch traditionell gedruckt: Die Farbe küsst das Papier, ohne Prägung.“ 

Heike erklärt die Tastatur der Monotype

Heike darf per Sonderregelung in einer Berufsschulklasse gemeinsam mit Mediengestaltern sitzen (Schriftsetzerin ist kein Ausbildungsberuf); ihr ausbildender Chef, der Leiter der OHD Eckehart SchumacherGebler, kämpfte im Vorfeld für ihren einzigartigen Ausbildungsplatz. Sie ist glücklich dort – wenn sie an der Monotype tüftelt, bevor ihr nach fünf Stunden an den Tasten die Konzentration abhanden kommt; wenn sie eigene Ideen ausprobieren kann und nach vollendetem Druck doch noch einen augenscheinlichen Rechtschreibfehler findet (auf dem Cover!); wenn sie Gästen der Offizin ihren Arbeitsplatz zeigt. 

„An diesem Satz waren die Kindergartenkinder dran, man sieht es am oberen Rand.“

Auch Max geht auf in dem was er tut, soviel ist sicher. Er ist laut eigener Aussage an den Maschinen stärker interessiert als an den Ergebnissen, kennt jede Mikrometerschraube und jede Supra-Macke seiner verschiedenen Gießmaschinen. Auf die Nachfrage, nach welchen Kriterien er diese einsetze, gibt er eine sympathisch-detailverliebte Abhandlung der Vor- und Nachteile sowie der Altersschwächen seiner Arbeitsgeräte.
Denn, let’s face it:

„Je älter was wird, ob Mensch oder Maschinen,
die funktionieren nicht mehr ganz so reibungslos.“ 

Detailaufnahme der Scheren

Es ist der Autorin nicht möglich, diesen sehr dichten und nahbaren Vortrag detailgetreu wiederzugeben. Vielleicht ist dies aber auch gar nicht nötig, denn wer nicht dabei sein konnte und nun Blei geleckt hat, dem seien die Links am Ende des Nachberichts ans metallische Herz gelegt. Zusätzlich kann man mit den folgenden Vokabeln bei zukünftigen Stammtischen glänzen:
*
Fische = einzelne Lettern wurden nach dem Druck falsch einsortiert (auch: Zwiebelfisch)
Hobeln = die gegossenen Buchstaben werden gegenläufig abgehobelt und somit unterschnitten
Spießer = Buchstaben, die zu hoch stehen („herausspießen“)
Buchstaben mit blutigen Füßen = gegossene Buchstaben mit Bleispritzern am Fuß des Schriftkegels (diese müssen entfernt werden)
Umgekehrte Mitte = Technik zur Höhenauslotung. Man setze zwei X nebeneinander, das eine richtig herum, das andere um 180° gedreht – eben umgekehrt. Nun definiert man die Mitte der beiden Mitten der Xe. Alles klar?

Zum Abschluss des Vortrags weisen die Dresdener auf das Schriftenfest hin, das jährlich in ihrer Druckerei stattfindet und sich wachsender Beliebtheit erfreut. Außerdem erwähnen sie den Verein für schwarze Kunst, dessen Vertreterin ganz vorne im Publikum sitzt. Apropos Publikum: Es sind auch zwei Leute vom Deutschen Technikmuseum anwesend. Wunderbarerweise möchten sie ihre Druckabteilung und das reiche Archiv, in Zusammenarbeit mit dem Druck- und Schrifthistoriker Dan Reynolds, zukünftig wieder verstärkt zugänglich und bekannt machen. Wir haben es so gut in Berlin! Kurzum, im Nachgespräch ist viel los; in den vorderen Reihen werden Allianzen geschmiedet, Jobs offeriert und eine Arbeitsgruppe zur Fortführung des Handwerks initiiert.

Aber – bei aller Liebe zur schwarzen Sonne: Es ist und bleibt ein Stammtisch und auch Braukunst ist Handwerk. Prost!