Nachbericht: Mastering Type 2017 und Schrift unterrichten

Schrift „Rock and Roll“ von Pedro Arilla, University of Reading, UK

Es ist Freitag etwa 15 Uhr, als ich eine Mail bekomme – Lucas steht in der UdK vor verschlossenen Türen. Jenny ist unerwartet lange beim Arzt. Schnell schreibe ich eine Mail, dass ich mich unmittelbar auf den Weg mache. Nicht, dass ich etwas an der Situation hätte ändern können, aber in Ruhe weiterarbeiten hätte ich nun auch nicht mehr gekonnt… Gegen 16 Uhr komme ich in der UdK an. Alle Wände sind aufgebaut. Benedikt, Lucas, Jenny und ihre studentischen Hilfskräfte sind nicht mehr zu sehen. Es ist die dritte Ausstellung. Jenny ist schwanger. Unerwartetes passiert. Ärger ist verständlich. Alles wird schön werden.

Ich stehe nur wenige Minuten im Raum, da kommen drei frische Masterabsolventinnen aus Zürich an, mitsamt ihrer Prozessbücher. Lächelnd, frisch und froh. Wir stellen uns vor, bedanken uns für die Bücher und geben noch einen Restaurant-Tipp ab: „Raus. Rechts. Fünf Minuten geradeaus und dann auf der rechten Ecke. Bis gleich.“ Nun noch Stühle platzieren, Bücher zuordnen und anbinden, iPad mit der Detailpräsentation bestücken, den Beamer ausrichten und fegen. Lampen vorne an und hinten aus – die ersten Besucherinnen und Besucher sind da. Schnell wird es voll, der Geräuschpegel steigt – es entwickelt sich eine Schwarmbewegung im Kreis. Quatschen, einen Meter vor, Poster gucken. Quatschen, einen Meter vor, Poster gucken. Quatschen, …

Im Hintergrund Arbeiten aus Zürich
Freitag Abend (Foto Tanja Blaufuß)
Freitag Abend im Medienhaus der UdK Berlin (Foto Lucas de Groot)

Benedikt läuft zwischen den gut 100 Gästen von einem Absolventen zur anderen Absolventin. Wer hat alles eine Präsentation dabei? Wer will sein/ihr Projekt als erstes vorstellen? Habt ihr einen eigenen Computer? Es ist bereits nach 19 Uhr. Mit einem kräftigen „Hallo und herzlich willkommen!“ lenke ich die Aufmerksamkeit auf Benedikt, der die Ausstellung eröffnet. Wie wir Benedikt kennen, erwähnt er Wichtiges gleich zu Beginn: „Der kommende Typostammtisch findet am 15. Februar statt“ und übergibt das Wort schnell und geordnet zu den Hauptakteurinnen und -akteuren dieses Abends.

Gespannt hören alle zu (Foto Sol Matas)

Andreas Schenkel fängt an. Wir erfahren von ihm, wie überfällige isländische Vulkane und eine Reise mit Rad seine Schriftformen und seine Schriftnamen beeinflusst haben. Miklós Ferencz’ Idee liegt in der Menschlichkeit der Fehler. Manchmal fehlen Elemente in den Zeichen, die sich in einem Weißraum widerspiegeln, und manchmal spielt er in seiner Schrift mit dem absoluten Gegenteil: zu viel Schwarz. Wörtlich beschreibt er es als „It’s not a deconstruction, it’s a construction.“ Demgegenüber erforscht Lucas Descroix die Kursive und stellt dabei ihre Verwendung und formale Gestaltung in Frage. Sven Fuchs wiederum geht sehr analytisch vor. Er erforscht Fassadenschriften aus der Nachkriegszeit (genauer aus den 1950-er Jahren) und überstrapaziert ihre Gestaltungsideen, um schlussendlich eine eigene Formsprache zu entwickeln. Ganz anders Ute Kleim. Ihr ist schnell klar, dass sie weniger mit der Gestaltungsidee zu kämpfen hat als mit der Hürde, diese konsequent auf ‚Non-Latin‘ zu übertragen, ohne die Harmonie in ihrer Schriftfamilie zu verlieren. Dabei berichtet sie zum Beispiel von einer unterschiedlichen Wahrnehmung der Schriftgröße in unterschiedlichen Kulturkreisen: „Was für uns gefühlte 8pt sind, ist für andere 10pt.“Tim Meylan hat sich gefragt „What is a font family? And why does sometimes a font family look more like a ‚real family‘ when I take different fonts from other families?“. Martina Meier zeigt uns, welch großen Einfluss eine Schattenachse auf die Gestaltung haben kann und wie sie diese nutzt, um jedem einzelnen Schnitt einen ganz individuellen Character zu verleihen, ohne dabei den Bezug zur Schriftsippe zu verlieren. Weniger beeinflusst von der Vergangenheit, dafür umso mehr begeistert von der Zukunft hat Thom Janssen Variable Fonts nicht nur als neues Font-Format betrachtet, sondern als Mittel zum Entwerfen. Den Spaß am Experimentieren merkt man ihm deutlich an.

Erst Arbeitstitel, dann Gestaltungsidee: „Cowboy“. Hier zu sehen sind die unterschiedlichen Schattenachsen der Schrift von Martina Meier.
Miklós Ferencz präsentiert seine Arbeit (Foto von Tanja Blaufuß und Irene Szankowsky)
Alternative g-Formen aus dem Prozessbuch von Daniel Coull
Doppelseite aus dem Prozessbuch von Eunyou Noh

Schlussendlich haben alle unserer Type Master jeweils mehr als die geplanten fünf Minuten über ihre Idee, ihren Prozess und ihr Ergebnis gesprochen – aber ich denke ich lüge nicht, wenn ich sage, dass wir alle sehr, sehr froh darüber sind. Neben dem ersten Eindruck über die Plakate ist der tiefere Einblick in die Arbeiten ungemein wertvoll. Selbst wenn man sich die Zeit genommen hat, genauer in die Prozessbücher zu schauen, so war es doch ganz anders, die Gefühle über das gesprochenes Wort zu empfangen, als es geschrieben zu lesen. Von den letzten zwei Ausstellungen wissen wir bereits, dass der Master in Type Design für alle eine sehr intensive Zeit ist. Dies durften wir dieses Mal etwas persönlicher erleben als in den Jahren zuvor. Danke dafür.

Abschlussarbeit „Bynx“  von Franziska Hubmann
Abschlussarbeiten von der University of Reading, UK
Abschlussarbeiten von typemedia, Den Haag, NL
Abschlussarbeiten aus Amiens und Nancy, FR
Abschlussarbeiten von MAS Type Design, Zürich, CH

Kein Ende finden wollen

Wie bereits in den letzten Jahren schließt die UdK pünktlich um 22 Uhr. Auch wenn dies alle wissen, ist es nicht immer leicht alle Gäste genau zu dem Zeitpunkt aus dem Haus zu bekommen. Ich möchte mich bei euch allen für euer Verständnis bedanken und dafür, dass wir alle wirklich pünktlich vor und nicht mehr in der UdK standen…

Wie so manch andere Person zuvor stand auch ich schließlich an den Treppen vor den verriegelten meterhohen Flügeltüren der UdK mit einer Gruppe lieber Menschen, die den Abend nicht ohne ein Getränk ausklingen lassen wollten. Ein kleiner Spaziergang und kurze Zeit später öffneten wir eine deutlich kleinere Tür. Darüber steht Pinguin Club. Drinnen verraucht und voller Gespräche über Type Design, Font-Produktion oder Typografie – bis tief in die Nacht. Unverhofft und ungeplant. Mein Herz ging auf. Obwohl ich nicht rauche und noch nie zuvor in diesen vier Wänden war, fühlte es sich an wie „zuhause sein“.

Sol Matas auf Instagram: „Type ladies at Typostammtisch Berlin #friendship #letterslove“

Der frühe Vogel trinkt erstmal einen Kaffee

Es ist Samstag 11 Uhr. Mir fällt das Aufstehen schwer. Es war gestern zu schön, um früh zu gehen. Aber auch heute wird es ein schöner Tag werden, da bin ich mir sicher. Motiviert und erschöpft zugleich stehe ich pünktlich um 12:01 Uhr wieder an der UdK. Ich genieße die Ruhe und hole mir einen Kaffee.

Bis etwa 15 Uhr ist kaum eine Person da. Irgendwie auch gut so. So können wir ganz ohne Hektik die Aula eine Etage höher vorbereiten für die Podiumsdiskussion später. Eine Studentin von Jenny bleibt unten. Der Rest rückt Tische, fegt, stellt Stühle und baut das Podium auf. Mikros testen. Alles funktioniert. Ab 15 Uhr trudeln dann viele bekannte und unbekannte Gesichter ein. Manche kennen wir bereits vom Vorabend und/oder anderen Typostammtischen, andere wiederum sehen wir zum ersten Mal. Fast alle Stühle werden besetzt, manche Gäste setzen sich auf die Tische am Rand.

Um 16 Uhr schicke ich alle nach oben in die Aula und schließe die Ausstellung ab; ich wollte die Präsentationen und das Gespräch ebenfalls sehen. Später habe ich erfahren, dass manch einer vor verschlossenen Türen stand um sich die Ausstellung in Ruhe anzusehen, aber wieder gegangen ist, weil auch nach längerem Warten die Türen verschlossen blieben. Entschuldigung.


Wie wird „in und um Berlin“ Schrift unterrichtet?

Diese Frage haben wir mit Prof. Andrea Tinnes (Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle), Prof. Jürgen Huber (HTW Berlin), Prof. Lucas de Groot (FH Potsdam) und Prof. Stephan Müller (HGB Leipzig) erörtert.

Am Samstag beginnt Jürgen Huber, seinen Schriftunterricht vorzustellen (Foto Irene Szankowsky)
Luc(as) de Groot illustriert seinen Unterricht anhand von Fotos seiner Kreidetafeln (Foto Irene Szankowsky)

Ob bebildert durch eine Präsentation oder rein durch Worte, es war wirklich sehr bereichernd zu erfahren, wie an den Schulen gelehrt wird. Auf den Punkt gebracht haben es dann aber vor allem die wirklich eindrucksvollen Fotos der Arbeiten der jeweiligen Studierenden, die die Lehrenden gezeigt haben. Es hat große Lust gemacht und dazu animiert, selber an den verschiedenen Unterrichten teilnehmen zu wollen.

Den Anfang machte Jürgen Huber, der (fast) jedes Semester eine Schriftklasse anbietet. Jeder Unterricht ist völlig unterschiedlich und hat immer neue Aufgabenstellungen. Häufig geht es aber auch darum, die zweidimensionale Form in den dreidimensionalen Raum zu übertragen. Bildlich hat Jürgen Huber das gleich zu Beginn seiner Präsentation formuliert: „Ich säg auch mal gern einen Buchstaben aus.“ Andrea Tinnes’ Schwerpunkt ist die Kombination von Schrift und Typografie, also der Gestaltung und Anwendung von Schrift. Nachdem wir später alle Präsentation gesehen und ins Gespräch gekommen sind, wissen wir, dass es der Schwerpunkt aller ist, sie es aber alle auf eine ganz unterschiedliche Art und Weise im Unterricht umsetzen. Lucas de Groot outet sich als Liebhaber von Kreidetafeln. Ganz besonders große doppelte Tafeln haben es ihm angetan. Unabhängig von der persönlichen Liebe zu den Objekten, zeigen die unzähligen Fotos (hunderte müssen es gewesen sein) eindrucksvoll, wie technik-und detailverliebt der Schriftunterricht in Potsdam abläuft. Mit Stephan Müller ging es dann direkt aufs Podium. Zu Beginn erläuterte er, dass ein Diplom an der HGB Leipzig nicht nur mit einem Schriftentwurf beendet werden muss, sondern auch Rechercheprojekte entstehen können und gerne dürfen. In dem Unterricht von Fred Smeijers und Stephan Müller dürfen sich Studierende zwei Jahre lang in das Thema Schrift und deren Anwendung vertiefen.

Wie die ehemaligen Studierenden am Vorabend haben sich auch die Lehrenden nicht an die Zeitvorgabe von 10 Minuten halten können, aber ebenso wie am Vorabend bin ich sehr, sehr glücklich darüber, dass sie sich die nötige Zeit genommen haben.


Eigentlich sind wir doch alle keine großen Fans von solchen Podiumsdiskussionen

Die Podiumsdiskussion leitete Benedikt mit den Worten ein: „Eigentlich bin ich kein großer Fan von solchen Podiumsdiskussionen.“ Wenn ich ehrlich bin, so hat Benedikt nicht nur mir sondern auch vielen anderen in diesem Raum sicherlich aus der Seele gesprochen, aber vielleicht gerade wegen dieses Pes­si­mis­mus’ und dem pragmatischen Umgang mit dem Format wurde es eine erfolgreiche Gesprächsrunde. Präsentationen und Diskussionen haben zweieinhalb Stunden gedauert. Das Publikum meldete sich intensiv und interessiert zu Wort. Trotz der Länge haben nur wenige Personen vorzeitig den Raum verlassen. Das alleine zeigt, wie spannend es war. Erst als die letzte Frage ein neues Thema eröffnete, waren sich alle im Raum einig, dass wir diese und weitere Fragen vertagen sollten…

Es ging um Ideen, den jeweiligen Unterricht zu erweitern, indem man möglicherweise hochschulübergreifend kooperiert. Es ging darum, wie sich Schriftgestalterinnen und -gestalter besser organisieren können. Es wurde hitzig diskutiert, ob und welche Unterschiede es im Unterricht in West- und Ostdeutschland gab und warum es sie vielleicht noch immer gibt. Wenn Berlin eine Hochburg des Type Design ist, warum gibt es keinen Master im eigenen Land. Welche Hürden stellen sich in Deutschland, um einen Meisterstudiengang zu entwickeln und zu finanzieren? Warum gibt es eigentlich keinen Master „Type and Marketing“? All diese und viele weitere Fragen wurden gestellt und zum Teil beantwortet. Angeregt von der Diskussion wollten die Gespräche später eine Etage tiefer in der Ausstellung nicht enden: für mich ein Ausdruck dafür, dass alles in allem unsere dritte Mastering-Type-Ausstellung ein voller Erfolg war.

Podiumsdiskussion: Benedikt Bramböck (Moderation), Jürgen Huber, Luc(as) de Groot, Andrea Tinnes und Stephan Müller (Foto Irene Szankowsky)

Dank an Luc(as) de Groot für die Finanzierung der Poster, das Zuschneiden, das Auf- und Abbauen und dafür, dass du erneut dein Auto und deine Ressourcen gespendet hast. Dank an Benedikt Bramböck für die Kommunikation und Organisation mit den Absolventinnen und auch für die Moderation an beiden Tagen. Dank an Jenny Baese für die Organisation, dass wir wieder die Räumlichkeiten der UdK nutzen durften und für die Mitmoderation. Dank an die Studierenden aus den Typografie-Seminaren von Jenny für das Fegen, Stühle rücken, Raum bewachen, Prozessbücher anbinden und all die vielen anderen Kleinigkeiten, die so anfielen und erledigt werden wollten. Dank an Tanja Blaufuß und Irene Szankowsky fürs Fotografieren und fürs kräftig mit anpacken. Dank an Sol für das kurzfristige Mitbringen eines Backup-Computers.

Und schlussendlich ein großes Dankeschön an alle neuen Type Master für ihre Beteiligung und ihre Arbeiten: Andreas Schenkel, Corentin Noyer, Daniel Coull, Eino Korkala, Eunyou Noh, Franziska Hubmann, Geetika Alok, Joana Ranito, Kaja Słojewska, Kaliata Guinand, Lucas Descroix, Magdalena Wisniewska, Martin Pysny, Martin Violette, Martina Meier, Mélissa D’Amore, Miklós Ferencz, Miriam Reichensperger, Muk Mariela Monsalve, Natalia Qadreh, Nathan Willis, Pablo Gamez, Paul Hanslow, Pauline Fourest, Pedro Arilla, Pierre Fournier, Ro Hernandez, Sven Fuchs, Thom Janssen, Tim Meylan, Trix Krebs, Ute Kleim, Yanghee Ryu, Yui Yoshitomi

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